Im Interview mit der "Welt am Sonntag" sprach der Landesvorsitzende der CDU Hessen, Ministerpräsident Volker Bouffier, über den Koalitionsvertrag mit den Grünen, die Klage gegen den Länderfinanzausgleich und die doppelte Staatsbürgerschaft. Das Interview können Sie hier in voller Länge nachlesen:

Welt am Sonntag: Als hessischer Ministerpräsident haben Sie bisher vor allem landespolitisch gewirkt. Nun verbrachten Sie sogar den Jahreswechsel in Berlin. Wollen Sie künftig stärker im Bund mitmischen?

Volker Bouffier: Ach, ich wollte einfach nur einmal raus. Nach den anstrengenden Koalitionsverhandlungen, die ja bei uns in Hessen erst einen Tag vor Heiligabend zu Ende waren, suchte ich mit meiner Frau ein bisschen Ruhe. Die haben wir in Berlin gefunden.

Welt am Sonntag: Die meisten Minister und Abgeordneten waren in den Ferien. Wie ist die Hauptstadt so ohne den politischen Betrieb?

Bouffier: Tatsächlich waren wir jeden Tag mit dem Fahrrad unterwegs, weil ich ganz bewusst einen anderen Blickwinkel gesucht habe. Ich war überrascht, wie voll Berlin war. Touristen ohne Ende! Politiker habe ich nicht vermisst.

Welt am Sonntag: Berlin ist stolz auf seinen Boom, der Finanzsenator brüstet sich sogar damit, dass er Rücklagen bilden kann.

Bouffier: Es ist schön, dass die Berliner endlich vorankommen. Übermut ist allerdings nicht angesagt: Der Haushaltsüberschuss ist ja den Zahlungen der drei Geberländer geschuldet. Drei Milliarden bekommt Berlin von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg jedes Jahr. Berlin als Bundeshauptstadt braucht natürlich eine besondere Unterstützung. Aber ein System, bei dem nur drei von sechzehn zahlen, mit diesem System kann etwas nicht stimmen. Wir müssen Schulden machen, damit wir an Berlin und andere Ausgleichszahlungen leisten. Das kann so nicht bleiben!

Welt am Sonntag: Das grün regierte Baden-Württemberg beteiligt sich nicht an der Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Geht das bald grün mitregierte Hessen auch von der Fahne?

Bouffier: Nein, die Klage bleibt, sie ist ein Akt der politischen Notwehr. Dass der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann hier mit Blick auf grün regierte Empfängerländer die Interessen seines Bundeslandes nicht verficht, ist schade. Wir Hessen tun es auch weiterhin. Wir sind uns mit den Grünen einig, künftig sowohl die Schuldengrenze einzuhalten als auch weiterhin politisch zu gestalten – das geht aber nicht, wenn man einen großen Teil seiner Einnahmen an andere abgeben muss.

Welt am Sonntag: Erwarten Sie von Ihrem künftigen grünen Stellvertreter Tarek Al-Wazir, dass er versucht, Kretschmann umzustimmen, damit sich Baden-Württemberg der Klage wieder anschließt?

Bouffier: Wir sind im Gespräch. Von Kretschmann stammt der interessante Vorschlag, den Solidaritätszuschlag nach 2019 umzuwidmen. Die Einnahmen sollen dann nicht mehr an den Bund gehen. Er könnte stattdessen schwerpunktmäßig dort eingesetzt werden, wo bei den Ländern besonderer Bedarf ist. Das unterstütze ich, wenn im Gegenzug der Wettbewerbsföderalismus und damit die Eigenverantwortung der Länder gestärkt wird. Der Wettbewerbsföderalismus war und ist einer der Schlüssel für den Erfolg der Bundesrepublik Deutschland. Eine solche Umwidmung des Soli wäre vergleichsweise einfach in die bestehende Verteilung der Einnahmen zwischen Bund und Ländern einzubauen – und würde dennoch die Eigenverantwortung der Länder entscheidend stärken. Den konkurrierenden Vorschlag, den Bund noch mehr Aufgaben direkt finanzieren zu lassen, lehne ich ab, da er die Eigenverantwortung der Länder schwächen würde.

Welt am Sonntag: Ihr Parteifreund Ole von Beust sagte als Chef einer schwarz-grünen Regierung, er werde immer linker. Geht es bei Ihnen auch schon los?

Bouffier: Ich glaube, da bin ich völlig unverdächtig. Ich werde weder linker noch grüner.

Welt am Sonntag: Ist der Koalitionsvertrag mit den Grünen besser als der, den Sie vier Jahre vorher mit der FDP ausgehandelt haben?

Bouffier: Der Koalitionsvertrag mit den Grünen ist nicht schlechter, als der mit der FDP es war. Er ist anders, zumal es heute auch andere Herausforderungen gibt. Aber natürlich müssen auch inhaltlich ausreichend Schnittmengen vorhanden sein und die Partner sich gegenseitig vertrauen. Im Bund wie auch in Hessen haben die jeweiligen Wunschkoalitionen keine Mehrheiten gefunden. Die CDU in Hessen und auch im Bund hat deshalb angesichts der jeweils zu bewältigenden Aufgaben über Koalitionen entschieden. Ich glaube, dass es künftig noch schwieriger sein wird, Wunschkoalitionen zu bilden, und deshalb bleibe ich bei meinem Credo: Demokratische Parteien müssen grundsätzlich untereinander koalitionsfähig sein.

Welt am Sonntag: In Hamburg gab es kurz vor dem Jahreswechsel schwere linke Krawalle. Anschließend wurde – auch von grünen Politikern – mit dem Finger auf die Polizei gezeigt. Das muss Sie als ehemaligen Innenminister doch ärgern.

Bouffier: Das ärgert mich sogar sehr. Die Vorwürfe, die Polizei habe überreagiert, kommen geradezu reflexhaft.

Welt am Sonntag: Sollten die Grünen eine innerparteiliche Debatte über ihre reflexhafte Polizeikritik führen?

Bouffier: Dieses Thema war auch in Hessen Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. In Hessen stehen wir vor einer großen Herausforderung. In diesem Jahr wird in Frankfurt der Neubau der Europäischen Zentralbank eingeweiht. Aber schon heute rufen Organisationen im Internet zu Krawall auf. Wir wollen zeigen, dass wir in der Lage sind, mit den Regierungschefs vieler Länder eine Festveranstaltung für eine der wichtigsten Währungen der Welt durchzuführen. Wir werden mit allen klugen Maßnahmen vorbeugen, dass es ein fröhliches Fest wird. Natürlich kann jedermann friedlich demonstrieren, aber wir werden auch keinen Zweifel lassen, dass niemand das Recht hat, hier Gewalt anzuwenden.

Welt am Sonntag: Die neue sozialdemokratische Bundesfamilienministerin hat angekündigt, die sogenannte Extremismusklausel zu streichen. Dann können auch Linksextreme vom Staat Geld für ihren "Kampf gegen rechts" bekommen.

Bouffier: Die Streichung der Extremismusklausel finde ich absurd. Es sollte selbstverständlich sein, dass jeder, der Geld vom Staat beantragt, sich zu unserer verfassungsmäßigen Grundordnung bekennt. Alles andere ist scheinheilig!

Welt am Sonntag: Bei der Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft sind Sie bei einem Thema zu den Grünen übergelaufen, gegen das die hessische CDU einst auf der Straße mobilisierte.

Bouffier: Ich halte die doppelte Staatsbürgerschaft nach wie vor für nicht erstrebenswert. Die Frage ist nicht in den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen, sondern in den Koalitionsverhandlungen in Berlin entschieden worden. Nach langem Ringen haben wir eine Lösung gefunden: Für diejenigen, die nach 1999 die doppelte Staatsbürgerschaft erworben haben, entfällt die Optionspflicht. Außerhalb dieses Personenkreises ändert sich nichts, eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft wird nicht hingenommen. Ein klassischer Kompromiss.

Welt am Sonntag: Die CSU macht gerade mit "Wer betrügt, der fliegt" Schlagzeilen. Sie hingegen setzen jetzt auf schwarz-grüne "Willkommenskultur".

Bouffier: Hier gibt es keinen Gegensatz. In Hessen ist die Willkommenskultur seit Jahren Bestandteil unserer Integrationspolitik. Ich werde auch als Ministerpräsident mit schwarz-grüner Mehrheit ein Freund klarer Worte bleiben. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass niemand gern sein Heimatland verlässt. Wenn er es aus Armut tut, dann müssen wir ihn dort unterstützen. Gleichzeitig müssen wir aber auch einfordern, dass er sich darum bemüht, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

Welt am Sonntag: Die neue Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat Hessen aufgefordert, Atommüll im Land einzulagern. Kommt da etwas auf Ihre Landeskinder zu?

Bouffier: Auch dazu haben wir in unserem Koalitionsvertrag mit den Grünen eine Lösung gefunden. Es erscheint mir allerdings nicht zielführend, Castortransporte aus dem britischen Sellafield, die wir mit Tausenden Polizeibeamten absichern müssen, von der Küste aus Hunderte von Kilometer durchs Land zu schicken, nur damit auch ein unionsregiertes Land von der Zwischenlagerung betroffen ist. Das ist doch völliger Unsinn! Hier habe ich mit Frau Hendricks erheblichen Diskussionsbedarf. Vor allem werde ich eines klarstellen: Auf keinen Fall wird in Biblis auf diese Weise – quasi hintenrum – ein Endlager entstehen.

Welt am Sonntag: Eine alte grüne Idee ist die Finanztransaktionssteuer. Bisher verhinderte die FDP ihre Einführung. Wer jetzt?

Bouffier: In der großen Koalition haben wir vereinbart, dass die Finanztransaktionssteuer nur eingeführt werden könnte, wenn sie nicht die Realwirtschaft schädigt, wenn sie keine Wettbewerbsnachteile für den Standort Deutschland bringt und wenn sie in Europa einheitlich eingeführt wird. Ich sehe nicht, wie in absehbarer Zeit die Steuer so gestaltet werden kann, dass diese drei Bedingungen erfüllt werden können.

Welt am Sonntag: Das wird SPD und Grüne nicht freuen.

Bouffier: Mag sein, aber es gelten die Koalitionsverträge in Berlin wie in Wiesbaden. Der Bundesfinanzminister hatte bisher zwei Milliarden an Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer eingeplant. Nun hat er angekündigt, diese zu streichen, weil er ebenfalls nur geringe Chancen auf eine Umsetzung in absehbarer Zeit sieht.

Welt am Sonntag: Die EU-Kommission hat doch einen Vorschlag vorgelegt...

Bouffier: (lacht) ... ja, bei dem die Einnahmen nicht zufällig an die EU-Kommission gehen sollen. Ich bin überzeugt, dass dieser Vorschlag in absehbarer Zeit nicht umgesetzt wird.

Ein kurzes Video dieses Interviews können Sie sich hier anschauen.

Die Fragen stellten Robin Alexander und Claudia Kade

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