Hessen will mit Bayern gegen den Länderfinanzausgleich klagen, um weniger zahlen zu müssen. Ministerpräsident Volker Bouffier, der gleichzeitig auch Landesvorsitzender der CDU Hessen ist, fordert im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Prinzip der Eigenverantwortung beim Länderfinanzausgleich stärker zur Geltung kommen zu lassen. Lesen Sie hier das Interview:

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Herr Bouffier, am Dienstag treffen Sie sich mit Bayern zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung, um gegen den Länderfinanzausgleich vorzugehen. Warum planen Sie eine Verfassungsklage?

**Volker Bouffier: **Es kann auf Dauer nicht richtig sein, dass mit Hessen, Bayern und Baden-Württemberg nur drei Bundesländer die anderen 13 Länder mitfinanzieren. Sämtliche Versuche auf dem Verhandlungsweg, mit den Nehmerländern zu einer Vereinbarung zu kommen, sind gescheitert. Die Klage ist für Hessen und für Bayern ein Akt politischer Notwehr. Der Finanzausgleich ist in dieser Form den hessischen Bürgern nicht mehr vermittelbar.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was läuft falsch mit dem Finanzausgleich?

Volker Bouffier: Derjenige, der sich anstrengt, dessen Einnahmen und Wirtschaftskraft steigen, hat praktisch nichts davon. Aber wer sich nicht anstrengt, hat keine Nachteile, weil sein Ausgleichsanspruch steigt. Der Länderfinanzausgleich muss anreizgerechter werden. Anstrengungen, um die eigene Steuerkraft zu stärken, müssen belohnt, aber nicht bestraft werden.

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Was fordern Sie konkret?

**Volker Bouffier: **Grundsätzlich muss das Prinzip der Eigenverantwortung beim Länderfinanzausgleich stärker zur Geltung kommen. Vom Tenor her müssen im Einzelnen folgende Punkte hinterfragt werden. Erstens: Die Zahlungen gehen von Empfängerseite vor allem an die Bundeshauptstadt Berlin. Das war so nie angedacht. Die Finanzierung der Hauptstadtfunktion der Stadt Berlin ist eine Sache des Bundes. Zweitens: Bürger in Stadtstaaten werden mit 135 Prozent angesetzt und in Frankfurt nur mit 100 Prozent. Da muss mir einer mal erklären, warum Hamburg, Bremen oder Berlin mehr zählen! Die Probleme eines Ballungsraums wie in München und im Rhein-Main-Gebiet finden keine Berücksichtigung. Hamburg erhält nur Geld aufgrund der Festlegung, dass der Hamburger Bürger ein Drittel mehr wert ist als ein Frankfurter. Drittens: Die Finanzkraft der Gemeinden wird zu stark angerechnet. Wir wollen statt 64 Prozent zurück zur alten Regelung mit 50 Prozent.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wie soll denn Berlin ohne Länderfinanzausgleich seinen Flughafen finanzieren?

**Volker Bouffier: **Der Flughafen ist ein fabelhaftes Beispiel, aber daran will ich es gar nicht aufhängen. Berlin muss aus eigener Kraft auf die Beine kommen. Ich halte es nicht für in Ordnung, dass Bundesaufgaben einer Hauptstadt von den Ländern finanziert werden und das auch nur von drei der 16 Bundesländer. Es kann nicht die Spezialität von Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sein, Berlin mitzufinanzieren.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Der Länderfinanzausgleich soll trotz unterschiedlicher Wirtschaftskraft einzelner Regionen in allen Teilen Deutschlands gleichwertige Lebensverhältnisse herstellen. Hat das denn auch etwas Gutes, oder schränkt es den Wettbewerb zwischen Ländern ein?

Volker Bouffier: Es hilft den Schwachen nicht, die Starken zu schwächen. Hessen hat meist die höchste Steuerkraft aller Bundesländer. Vor dem Ausgleichssystem lagen wir 2012 bei 117,8 Prozent, das ist die Spitzengruppe, im Vergleich zum Durchschnitt aller Bundesländer. Aber wenn wir den Länderfinanzausgleich sowie die Verteilung der Umsatzsteuer, die kommunale Finanzkraft, Bundesergänzungszuweisungen und Sonderbedarfszuweisungen berücksichtigen, liegen wir plötzlich unter dem Durchschnitt. Dann kommt die hessische Finanzkraft je Einwohner nur noch auf 97,4 Prozent. Dass es manchen Nehmerländern bessergeht und sie sich mehr leisten als andere Geberländer, kann nicht richtig sein!

Durch die neue Schuldenbremse müssen die öffentlichen Haushalte sparen. Richtig, das haben wir alle gewollt und finden es richtig. Aber wenn wir so viel an andere Länder abgeben müssen und keine neuen Schulden machen dürfen, müssen wir in die Strukturen eingreifen und das Land schwächen. Dann werden wir irgendwann auch nichts mehr zahlen. Vor sieben Jahren gab es noch sieben Geberländer.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wäre der Länderfinanzausgleich komplett weg?

**Volker Bouffier: **Nein. Wir sind ordentliche Leute und bleiben solidarisch. Aber wenn wir uns in diesem Jahr mit 1,3 Milliarden Euro verschulden und gleichzeitig 1,8 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich einzahlen, möchte ich das verrechnen. Statt 1,8 Milliarden Euro würde ich 500 Millionen Euro in den Länderfinanzausgleich zahlen, um mich nicht neu zu verschulden.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Der Länderfinanzausgleich ist doch kein Grund für schlechtes Haushalten. Auch ein Arbeitnehmer kann nicht auf sein Bruttogehalt schauen, sondern nur das ausgeben, was er netto erhält.

** Volker Bouffier: **Das ist richtig. Aber die Länder haben eine schwierigere Haushaltsgestaltung als der Bund, der sämtliche Steuern gestalten kann. Wir haben nichts außer der Grunderwerbsteuer. Ein Bundesland kann von der Einnahmeseite fast nichts machen und hat mit der Masse des öffentlichen Dienstes schwer veränderliche Ausgaben. Die Länder haben die Lehrer, die Polizei, jedes Finanzamt, jede Justizvollzugsanstalt, die Hochschulen - alles sehr personalintensiv. Selbst wenn Sie dort Veränderungen vornehmen wollen, kommen Sie nur langsam voran.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wollen Sie denn Kompetenzen an den Bund abtreten?

** Volker Bouffier: **Darum geht es nicht. Wir hatten erst eine Föderalismusreform, und die bisherige Kompetenzverteilung hat sich in unserer Republik bewährt. Aber wahr ist auch: Wir werden auf Dauer an einer Neujustierung der Finanzbeziehungen nicht vorbeikommen - völlig unabhängig vom Länderfinanzausgleich.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Zu den drei Geberländern gehört auch Baden-Württemberg. Warum schließen die sich nicht Ihrer Klage an?

Volker Bouffier: Ich möchte noch einmal an den gemeinsamen Kabinettsbeschluss von Hessen, Baden-Württemberg und Bayern aus dem Jahr 2011 erinnern. Aber ich denke, jetzt muss Herr Kretschmann Rücksicht auf seine Parteifreunde nehmen. Im Grunde denkt er aber genauso wie Kollege Seehofer und ich.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **In Hessen und Bayern wird im Herbst gewählt. Mit der Klage holen Sie sich jetzt Munition für den Wahlkampf?

Volker Bouffier: Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Wir sind in der Logik unserer bisherigen Beschlüsse. Soll ich noch sechs Jahre zusehen, dass andere mit unserem Geld politische Wohltaten verteilen? Es kann doch nicht richtig sein, dass wir Milliarden Euro abgeben - und ein Land wie Berlin beschließt mit einem Federstrich, dass alle Kindertagesstätten gebührenfrei sind. Das können wir uns in Hessen nicht leisten. Ich kann als Ministerpräsident nicht zuschauen, wie das, was im eigenen Land erwirtschaftet wird, in andere Länder geht, die mit unserem Geld Wohltaten, die ich den Menschen gönne, beschließen, und ich unseren Menschen sagen muss: Tut mir leid, das können wir uns nicht leisten.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Welche Leistungen soll denn Berlin oder Rheinland-Pfalz kürzen?

**Volker Bouffier: **Das sollen die entscheiden. Ich werfe Rheinland-Pfalz nicht vor, wie die ihren Haushalt bestreiten. Aber ich halte es nicht für richtig, dass ich zu Lasten der hessischen Bürger immer mehr abgeben muss. Das System bestraft diejenigen, die sich anstrengen, und die, die sich nicht anstrengen, lässt es unberührt. Wir streben an, die Verteilung der Lohn- und Einkommensteuer künftig nicht nur nach dem Wohnsitzprinzip aufzuteilen, sondern in einem Verhältnis zum Wohnsitz und Arbeitsstätte. Das betrifft Nehmerländer mit starker Einpendlerbewegung und führt zu einem besseren Ausgleich. Das können Sie als Beispiel an Hessen und Rheinland-Pfalz nachvollziehen.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wann reichen Sie die Klage ein?

Volker Bouffier: Wir werden am Dienstag mit Bayern den Klageauftrag erteilen. Verschiedene Professoren arbeiten schon an der Klage. Und diese werden wir in vier bis sechs Wochen auch einreichen.

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was machen Sie, wenn diese scheitert?

** Volker Bouffier: **Wir gehen von einer erfolgreichen Klage aus. Hinzu kommt, dass der Länderfinanzausgleich im Jahr 2019 ausläuft. So wie es ist, wird es nicht bleiben. Es gibt kein Land außer Hessen, das immer gezahlt hat. Wir sind stark und auch interessiert, dass auch andere ihre Chancen wahrnehmen können. Aber wir wollen nicht über Gebühr zur Kasse gebeten werden.

Die Fragen stellte Jan Hauser.

Foto: E. Blatt (Hessische Staatskanzlei)

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