„Die Menschen mitnehmen – das darf nicht zur Floskel, sondern es muss zum Leitmotiv politischen Handelns werden“, forderte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier in seiner gut einstündigen „Hauptstadt-Rede“ an diesem Freitag in der Hessischen Landesvertretung Berlin. Die traditionelle Parteiendemokratie benötige neue Instrumente, um dieser Herausforderung angemessen zu begegnen. Nötig sei ein neuer Gesellschaftsvertrag, so Ministerpräsident Bouffier.

Solidarität und soziale Verantwortung, aber auch ein Bekenntnis zur Einzigartigkeit des Individuums bildeten die Grundlagen des Zusammenlebens, die in einem christlichen Menschenbild wurzelten. „Nur wer eine Basis hat, kann Respekt, Toleranz und Anerkennung für kulturelle Vielfalt und Internationalität als Bereicherung empfinden. Basis für die Gesellschaft der Zukunft ist für mich ein neuer Gesellschaftsvertrag – ein Vertrag, der ein Angebot an alle ist, die an der Gesellschaft der Zukunft mit bauen wollen“, unterstrich der Hessische Ministerpräsident.

Der neue Gesellschaftsvertrag basiere auf fünf starken Säulen: Staat, Bürger, Wirtschaft, Gemeinschaft und Land.

Bouffier plädierte für einen ‚starken Staat‘, der den Menschen Sicherheit und Zukunft biete und der als Ermöglicher und Befähiger und nicht als Verhinderer wahrgenommen werde. Möglich sei dies jedoch nur mit einem konsequenten Schuldenabbau in den öffentlichen Haushalten sowie einer grundlegenden Reform des Länderfinanzausgleiches. Bouffier wandte sich entschieden gegen einen „linken Paternalismus“. Die Menschen wollten individuelle Freiheit und gleichzeitig Sicherheit – dies sei kein Widerspruch, sondern Ausdruck eines modernen Lebensgefühls. Ergänzt werde der ‚starke Staat‘ um den ‚aktiven Bürger‘.

„Das Mediationsverfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens fand unter Bürgerbeteiligung und in transparenter Weise statt, die ihres Gleichen sucht. Ohne dieses Dialogverfahren wäre der Ausbau sicherlich nicht so erfolgreich verlaufen“, unterstrich der Ministerpräsident. Dagegen gebe es in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Auffassung nach viele, die gerade den Bau der neuen Landebahn am Frankfurter Flughafen als Beleg für das Fehlen von Mitwirkungsrechten sähen.

Ministerpräsident Volker Bouffier bei seiner Hauptstadt-Rede in der Hessischen Landesvertretung in Berlin.

Dies liegt nach Meinung Bouffiers überwiegend an den viel zu langen Planungszeiten. Protest entstünde vielfach erst dann, wenn das Vorhaben in Betrieb gehe. Bouffier zweifelt daher daran, ob mit den Mitteln traditioneller Parteiendemokratie Bürgerbeteiligung künftig angemessen stattfinden könne. „In Zukunft werden Bürgerinitiativen viel stärker gefordert sein, kompromissbereit an gemeinwohlorientierten Zielvorstellungen und verbindlichen Entscheidungen mitzuwirken“, so Bouffier. Statt Ablehnung und Kritik von sporadisch Engagierten sei eine gestaltende Aktivität im Sinne eines bürgerdemokratischen Frühwarnsystems gefragt.

Den wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmen hierfür biete die soziale Marktwirtschaft. Die Aufgabe von Politik sei es dafür zu sorgen, dass Unternehmer innerhalb einer strengen Wettbewerbsordnung sich dem widmen können, was Wohlstand schaffe und erhalte, nämlich fortwährende Innovation von Produkten, Prozessen und Dienstleistungen, die auf den Märkten wettbewerbsfähig seien. Um wirtschaftliches Handeln auf Grundlage von Freiheit und Gerechtigkeit in allen gesellschaftlichen Gruppen zu ermöglichen, sei darüber hinaus ein Schul- und Bildungswesen erforderlich, das nicht Gleichmacherei sondern Chancengerechtigkeit als Leitschnur zugrunde lege. Handlungsbedarf bestünde dabei nach Ansicht Bouffiers sowohl bei der frühkindlichen Bildung und dabei insbesondere bei Migrantenfamilien, als auch in der Schule. „Die Abhängigkeit des schulischen Erfolgs von der sozialen Herkunft muss weiter reduziert werden“, so der Ministerpräsident.

Dies könne aber der Staat nicht allein schaffen. Vielmehr bedürfe es dazu einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung. Stiftungen und Privatpersonen, die vielfach als Paten für Kinder in den ersten Lebensjahren aufträten, müssten Teil eines großen Netzwerkes werden und messbare Erfolge erzielen. Hervorragende Beispiele aus der Vergangenheit in Hessen sind die Engagements der Hertie-Stiftung, der Vodafone-Stiftung sowie der Stiftung Lesen.

Grundlegend für das Gelingen eines neuen Gesellschaftsvertrags bleibe eine ‚starke Gemeinschaft‘, die das Sozialkapital fördere und zu einer „Kultur des Entfachens“ beitrüge. Ministerpräsident Bouffier verwies darauf, dass in Hessen seit 2012 die Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ gemeinsinnorientiertes Bürgerengagement mit einem Betrag von 500.000 Euro fördere, der jährlich aufwachse. „Für den Staat sehe ich die Rolle des Mittlers und Brückenbauers, indem er Menschen, die sich engagieren wollen, zusammenbringt, um gemeinsam in kommunalen Foren, auf Plattformen oder Ehrenamtsbörsen Aufgaben zu lösen“, so der Ministerpräsident.

Abschließend verwies Bouffier darauf, dass die föderale Ordnung in Deutschland ein Glücksfall sei, denn sie ermögliche es, staatliches Handeln dicht an die Belange der Bürgerinnen und Bürger heranzuführen. „Der Leitsatz des Föderalismus ‚Vielfalt in Einheit‘ festigt unsere Demokratie und bildet das Fundament für einen gelebten Gesellschaftsvertrag“, so der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier.

Hintergrund:

Die Stiftung "Zukunft Berlin" lädt auf Initiative von Klaus Bresser, Ernst Elitz, Jürgen Engert, Volker Hassemer und Herrmann Rudolph die Ministerpräsidenten der Länder ein, ihre Erwartungen, Wünsche und Forderungen an die Hauptstadt Berlin in Hauptstadt-Reden zu formulieren. Bis heute und trotz Umzug von Deutschem Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung an die Spree sei Berlin weiterhin eine Hauptstadt im Werden. Ihre Rolle im föderalen Deutschland finde die Stadt nicht allein aus eigener Kraft, sondern nur im Zusammenwirken mit den anderen Ländern, so die Stiftung.

Fotos: Boris Trenkel

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