Die Hessische Landesregierung und die Bayerische Staatsregierung haben heute gemeinsam im Schloss Biebrich getagt und beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die derzeitige Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs (LFA) einzureichen. Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer erklärten: „Der Zeitpunkt für eine Klage ist nun gekommen. Auf dem Verhandlungsweg sind wir zu keiner Einigung gekommen. Im Gegenteil, von einigen Empfängerländern wurde jede Diskussion über die Forderungen der Zahlerländer abgelehnt. Die Klage ist ein Akt politischer Notwehr und ist jetzt folgerichtig. Sie entspricht den vorangegangenen Beschlüssen, zuletzt des Kabinettbeschlusses der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vom 24. Januar 2011.“

Ministerpräsident Bouffier betonte: „Vom System profitiert nicht derjenige, der durch eine nachhaltige Haushalts- und Finanzpolitik die Verschuldung seines Landes reduzieren und die Steuerkraft erhöhen will, um dadurch Investitionsspielräume für die Bewältigung von Zukunftsaufgaben zu erhalten. Für die Nehmerländer fehlen hinreichende Anreize, ihre finanzielle Situation zu verbessern, in der heutigen Form stehen Anreiz- und Ausgleichsfunktion nicht in Balance. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder haben ein Recht darauf, dass die Steuermehreinnahmen zuerst denjenigen zufließen, die sie erarbeiten.“ Er verwies auch auf die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse, welche für die Länder bis spätestens 2020 einen ausgeglichenen Haushalt ohne Neuverschuldung zwingend vorschreibt. Im Hinblick auf den hessischen Volksentscheid zur Schuldenbremse sagte Bouffier: „Für die Funktion und Akzeptanz des Länderfinanzausgleichs sind die Einhaltung der Schuldenbremse und die Vorgaben des Stabilitätsrats eine Grundvoraussetzung. Ohne die Zahlungen in den Finanzausgleich müssten wir schon heute keine neuen Schulden aufnehmen.“

Gemeinsame Kabinettsitzung von Hessen und Bayern im Schloss Biebrich in Wiesbaden.

„Unsolidarisch, ungerecht und leistungsfeindlich“

Ministerpräsident Seehofer sagte: „Der Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form ist unsolidarisch, ungerecht und leistungsfeindlich. Er befindet sich in einer untragbaren Schieflage und kann nicht mehr funktionieren. Nur noch drei Zahlerländer müssen inzwischen 13 Nehmerländer unterstützen. Allein das Land Berlin erhielt im Jahr 2012 mit über 3,3 Milliarden Euro mehr als 40 Prozent des gesamten Ausgleichsvolumens. Und Hamburg, das Land mit der stärksten Steuerkraft, ist 2012 sogar zum Nehmerland geworden. Das zeigt, wir grotesk der Länderfinanzausgleich geworden ist. Der derzeitige Finanzausgleich bestraft gute Politik und belohnt politisches Nichtstun.“ 

„Eine Verhandlungslösung ist gescheitert“, betonte Bouffier. Seit Jahren bemühten sich die Zahlerländer um eine Neuordnung der Länderfinanzbeziehungen. „Wir haben dabei stets eine Änderung der bestehenden Regeln angestrebt und verdeutlicht, dass wir einen konstruktiven Dialog einer Klage vorziehen“, so der Ministerpräsident. Die Mehrheit der Nehmerländer sei allerdings nicht bereit gewesen, über kurzfristige Korrekturen zu sprechen. „Nicht einmal der gemeinsam mit dem Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann vorgeschlagene Minimalkonsens, das jetzige Niveau der Zahlungen einzufrieren, fand die Zustimmung der Nehmerländer.“ Seehofer und Bouffier stellten heraus, dass Bayern und Hessen in der Solidarität des Länderfinanzausgleiches bleiben: „Unser Ziel ist es, die Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung wieder herzustellen. Es kann nicht Sinn des Länderfinanzausgleiches sein, die Starken zu schwächen“, so beide Regierungschefs.

Der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer während der Kabinettsitzung.

Systemgerechte Lösung erforderlich

Ministerpräsident Seehofer erklärte: „Wir wollen für die Zukunft einen solidarischen, gerechten und leistungsorientierten Länderfinanzausgleich, der die Nehmerländer dabei unterstützt, ihre Ausgaben aus eigener Wirtschafts- und Finanzkraft zu bestreiten. Der Finanzausgleich muss deutlich anreizgerechter ausgestaltet und Sparanstrengungen müssen belohnt werden. Die Zahlerländer dürfen nicht länger überbeansprucht werden. Auch muss die besondere Einwohnergewichtung zugunsten der Stadtstaaten korrigiert werden. Es kann nicht sein, dass ein Bayer oder Hesse im Rahmen des Länderfinanzausgleichs weniger wert sein soll als ein Berliner, Bremer oder Hamburger.“ Ministerpräsident Bouffier ergänzte: „Eine systemgerechte Lösung ist erforderlich, die den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Stadtstaaten Rechnung trägt. Darüber hinaus ist der Einbezug der Gemeindefinanzkraft (derzeit zu 64 Prozent) deutlich überhöht. Die verstärkte Eigenständigkeit der Kommunen muss nachhaltig berücksichtigt werden. Der Finanzausgleich muss deutlich anreizgerechter ausgestaltet werden - Sparanstrengungen müssen belohnt und nicht massiv bestraft werden.“ Weiter müsse die vorhandene „Deckelungsgrenze“ reformiert werden, um die Geberländer vor einer Überbeanspruchung zu schützen, so Bouffier weiter. „Eigenverantwortung muss Vorrang haben. Der LFA muss verstärkt das haushalts- und finanzpolitische Verhalten eines Landes miteinbeziehen. Angesichts der grundgesetzlichen Schuldenbremse ist das derzeitige System der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nicht mehr vermittelbar und muss entsprechend angepasst werden. Das heißt: Mehr Steuerautonomie für die Länder, um stärkere politische Schwerpunkte zu setzen und länderspezifische Interessen besser verfolgen zu können.“ 

Die Teilnehmer der gemeinsamen Kabinettsitzung im Überblick.

Der Stellvertretende Ministerpräsident Hahn legte dar: „Darüber hinaus ist ein weiterer Kritikpunkt die Finanzierung der Bundeshauptstadt Berlin, die sich in unvorhersehbarer Weise entwickelt hat und von dem bestehenden Ausgleichssystem, das die Sonderrolle Berlins bewusst außer Betracht lässt, nicht angemessen behandelt wird. Während Berlin im Jahr 2005 mit 2,460 Milliarden Euro etwa 35 Prozent des Gesamtausgleichsvolumens erhielt, waren es im Jahr 2011 mit mehr als drei Milliarden Euro und im Jahr 2012 mit rund 3,3 Milliarden Euro über 40 Prozent. Berlin hat als Bundeshauptstadt eine besondere Funktion, was sich natürlich auch in ihrer Finanzierung niederschlagen muss. Diese Finanzierung kann aber nicht Sache der Länder sein; vielmehr ist eine Sonderfinanzierung durch den Bund erforderlich.“

Bayerns Wissenschaftsminister Dr. Wolfgang Heubisch betonte: „Der gegenwärtige Länderfinanzausgleich ist ungerecht. Allein im letzten Jahr hat Bayern über 3,9 Milliarden Euro an andere Bundesländer überwiesen- das ist erneut über die Hälfte des gesamten Finanzausgleichs. Das hat mit einer gerechten Lastenverteilung nichts mehr zu tun. Wir brauchen ein neues faires Gleichgewicht zwischen der notwendigen Solidarität auf der einen Seite und Eigenverantwortung der Länder auf der anderen Seite. Es geht um mehr Finanzautonomie für die Länder, ein Anreizsystem das Sparen belohnt und neue Schulden ahndet und ein Ausgleichssystem, das sich viel stärker als bisher an den tatsächlichen finanziellen Möglichkeiten der Länder orientiert anstatt einfach nur die Einnahmen umzuverteilen wie bisher.

Wohlstand muss zuerst den Bürgerinnen und Bürgern den eigenen Ländern zugute kommen

Nach der vorläufigen Abrechnung des Bundesfinanzministeriums für 2012 entfielen auf Hessen und Bayern über 5,2 Milliarden Euro Zahlungsverpflichtungen (3,904 Mrd. Euro auf Bayern und 1,326 Milliarden Euro auf Hessen). „Der Wohlstand, den die Menschen in Hessen und Bayern Tag für Tag erarbeiten, muss zuerst den Bürgerinnen und Bürgern unserer Länder zugutekommen und darf nicht an ihnen vorbeigehen“, erklärten Ministerpräsident Seehofer und Ministerpräsident Bouffier abschließend.

Der Normenkontrollantrag der Bayerischen Staatsregierung und der Hessischen Landesregierung wird zurzeit vorbereitet und voraussichtlich bis Ende Februar 2013 dem Bundesverfassungsgericht übermittelt.

Fotos: E. Blatt (Hessische Staatskanzlei)

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