Ministerpräsident Volker Bouffier hat heute vor dem Hessischen Landtag eine Regierungserklärung zur künftigen Energiepolitik und Energieversorgung Hessens abgegeben.

Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten können Sie hier im Wortlaut nachlesen oder als PDF herunterladen. Auf www.hr-online.de finden Sie die Regierungserklärung zudem als Video.

(Es gilt das gesprochene Wort!)

Der irische Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw hat einmal gesagt:

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“

Dieses Zitat, meine Damen und Herren, lässt sich übertragen auf das Thema, das Anlass meiner heutigen Regierungserklärung ist:

• Die Maßstäbe, die wir an die Energiepolitik in unserem Land anzulegen haben, haben sich durch die Vorkommnisse in Japan geändert;

• Wir, die Hessische Landesregierung und die sie tragenden Parteien und Fraktionen, nehmen diese Maßstabsveränderung zum Anlass, neue Wege in der Energiepolitik zu gehen. Darin bestärkt uns die große Mehrheit der Bevölkerung.

• Zugleich erwarten wir, dass auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bereit sind, noch einmal neu Maß zu nehmen:

indem Sie bereit sind, Ihre eigene Programmatik in der Energiepolitik zu hinterfragen und an einem Grundkonsens mitzuarbeiten, der eine breite gesellschaftliche Akzeptanz erfährt.

Dieser Grundkonsens kann nicht die Einigkeit über das „Dagegen“ sein; das ist zu wenig und noch keine verantwortliche Politik. Vielmehr muss der Anspruch an einen Grundkonsens die Einigkeit über das sehr konkrete „Dafür“ der denkbaren Alternativen sein.

Die neuen Maßstäbe sind es, die mich veranlasst haben, am vergangenen Dienstag die Fraktionsvorsitzenden der im Hessischen Landtag vertretenen Parteien sowie Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, kommunalen Spitzenverbänden und Energiewirtschaft zum ersten Hessischen Energiegipfel in die Hessische Staatskanzlei einzuladen.

Die Botschaft, die dieser erste Hessische Energiegipfel aussenden soll, ist klar: Wir brauchen eine rationale Diskussion, realistische Ziele und gesellschaftliche Akzeptanz, um eine Energiewende zu vollziehen und gleichzeitig unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand auch für die Zukunft zu sichern. Dabei wollen wir unsere zukünftige Energiegewinnung sicher, umweltschonend und bezahlbar gestalten!

Das ist unsere Aufgabe. Das erwarten die Menschen in diesem Land von uns.

Unsere Anstrengung sollte darauf gerichtet sein, das, was uns trennt, zu überwinden, um Akzeptanz bei den Menschen zu finden. Es geht nicht um „Recht haben“ oder „Recht behalten“. Das heißt nicht, dass wir nicht hart miteinander ringen. Ganz und gar nicht: Aber wir treten ein in den Dialog um die Sache – und nicht in den Monolog der Ideologien.

Deshalb begrüße ich sehr, dass alle oben Genannten meiner Einladung nicht nur gefolgt sind, sondern auch ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt haben, in dem begonnenen Prozess weiter konstruktiv mitzuwirken. Mit dieser Bereitschaft zum gemeinsamen Arbeiten an der künftigen Energiepolitik haben wir in Hessen einen neuen Weg eingeschlagen. Das hat es vorher noch nicht gegeben.

Nach der ersten Sitzung des Gremiums will ich heute den Hessischen Landtag über das Vorhaben und das weitere Vorgehen im Zusammenhang mit dem Energiegipfel unterrichten. Die einvernehmlich beschlossenen vier Arbeitsgruppen sollen ausloten, auf welche gemeinsame Faktengrundlage sich alle Beteiligten verständigen können und welche Handlungsalternativen sich daraus für die hessische Energiepolitik ableiten lassen.

Am Ende wird es eine Entscheidung der Politik sein, wie mit diesen Daten und Optionen umzugehen ist – eine Entscheidung, von der ich hoffe, dass wir sie im parteiübergreifenden Konsens werden treffen können. Deshalb ist der Hessische Landtag der richtige Ort, um darüber politisch zu diskutieren.

Mein Ziel, und das der von mir geführten Landesregierung ist es, in gemeinsamer Verantwortung eine sichere, umweltschonende und bezahlbare Energieversorgung dauerhaft für unser Land zu gewährleisten. Es geht darum, den bereits beschlossenen Atomausstieg in vertretbarer Zeit umzusetzen – und zwar so, dass wir den Wohlstand unseres Landes, die Arbeitsplätze unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unseren wirtschaftlichen Spitzenplatz in Europa erhalten.

Dies geht nur, wenn wir die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen und auf breite Akzeptanz bauen. Und nicht zuletzt deshalb geht es darum, diesen Wandel so zu gestalten, dass wir die sozialen Auswirkungen nicht aus dem Blick verlieren. Darin bin ich mit dem hessischen DGB-Vorsitzenden Stefan Körzell einig: Wir dürfen die hessischen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch unverhältnismäßig steigende Energiekosten belasten.

Diskussion um Sicherheitsstandards in deutschen Kernkraftwerken neu entfacht

Die durch das Erdbeben und den verheerenden Tsunami vom 11. März ausgelöste Naturkatastrophe in Japan macht uns alle fassungslos. Das anschließende Reaktorunglück im Kernkraftwerk Fukushima hat offenbart, dass die dortigen Sicherheitsvorkehrungen für ein solches Ereignis unzureichend waren. Hierzulande hat das japanische Reaktorunglück, ungeachtet höchster Sicherheitsniveaus, in Politik und Bevölkerung die Debatte um die Sicherheitsstandards in deutschen Kernkraftwerken neu entfacht – und erneut die Diskussion darüber angestoßen, wie lange wir die Kernenergie in Deutschland noch nutzen sollen.

Auch wenn manch einer in diesen Tagen ungern darauf angesprochen werden möchte, will ich in diesem Zusammenhang zwei Fakten in Erinnerung rufen:

• Erstens, sowohl Sozialdemokraten und Grüne, als auch Union und FDP waren von der Sicherheit deutscher Kernkraftwerke bis zum Ereignis in Japan überzeugt. Wer dies leugnet, würde dem ehemaligen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel von der SPD und seinem Amtsvorgänger von den Grünen, Jürgen Trittin, strafbares Handeln unterstellen, weil sie bei gegenteiliger Ansicht gesetzlich verpflichtet gewesen wären, einzelne Kernkraftwerke durch Weisung unverzüglich abschalten zu lassen. Dies ist nicht geschehen.

• Zweitens, im Gegensatz zu allen anderen Ländern, die Kernkraft nutzen, besteht in Deutschland seit Jahren – und nicht erst seit Japan – parteiübergreifend Konsens darin, aus der Kernenergie aussteigen zu wollen. Die politische Debatte in Deutschland wurde und wird lediglich darüber geführt, wie lange Kernenergie noch als „Brückentechnologie“ genutzt werden soll. Bei dem von Ihnen beschlossenen Atomausstieg, meine Damen und Herren von der Opposition, waren es von heute an noch mehr als 10 Jahre.

In diesem Zusammenhang räume ich ein, dass es uns, Union und FDP, nicht gelungen ist, in der Öffentlichkeit überzeugend darzulegen, warum wir als einen Bestandteil des von der Bundesregierung entwickelten Energiekonzeptes die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke beschlossen – und im Übrigen auch vor der Bundestagswahl 2009 angekündigt – hatten. Das mittel- und langfristige Ziel ist doch, eine verlässliche, umweltschonende und bezahlbare Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen, die auf andere Energieformen als die Kernenergie setzt. Die Verlängerung der „Brücke“, also die Laufzeitverlängerung, sollte dafür den erforderlichen Gewinn an Zeit und finanziellen Ressourcen schaffen.

Am deutlichsten wird dies, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass aus den Gewinnen der weiter betriebenen Kraftwerke Milliardenzahlungen in den Aufbau eines Ökofonds gehen sollen, aus dem gerade die Investitionen für den Umstieg auf alternative Energiegewinnung finanziert werden sollen. Im Hinblick auf die inzwischen veränderten Umstände muss man deshalb auch zu neuen gesetzlichen Regelungen kommen.

Wahrnehmung der Menschen für das Restrisiko der Kernenergie hat sich verändert

Durch Fukushima hat sich die Wahrnehmung der Menschen für das Restrisiko der Kernenergie verändert. Die Hessische Landesregierung nimmt die Sorgen der Menschen in unserem Land ernst. Als Ministerpräsident habe ich deshalb dem Vorschlag der Bundeskanzlerin zugestimmt, die Laufzeitverlängerung durch ein dreimonatiges Moratorium auszusetzen und die bis einschließlich 1980 in Betrieb genommenen deutschen Kernkraftwerke – darunter auch die beiden hessischen Kraftwerksblöcke Biblis A und B – während dieser Zeit vom Netz zu nehmen. Die Reaktorsicherheitskommission wird nun auf der Basis eines Kriterienkatalogs Sicherheitsüberprüfungen vornehmen und im Anschluss daran der Bundesregierung Handlungsvorschläge unterbreiten.

Wenn wir diese Überprüfung ernst nehmen, dann darf man den Ergebnissen nicht vorgreifen. Sonst machen das Moratorium und die Überprüfung keinen Sinn. Dies gilt auch für Biblis!

Eine verantwortungsbewusste Landesregierung kann schon mit Blick auf die bestehende Rechtslage und eventuelle erhebliche Schadensersatzforderungen gar nicht anders handeln.

Dennoch: Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie wird nach Japan schneller kommen als geplant. Das ist unser aller gemeinsamer Wille – und es ist auch der Wille einer großen Mehrheit der Menschen in unserem Land.

Nur, das verlangt uns eine Menge ab. Denn über eines besteht kein Zweifel: Der breite gesellschaftliche Konsens, den wir haben, wenn es um einen schnelleren Ausstieg aus der Kernenergie geht, den haben wir eben nicht, wenn es um die konkreten Fragen der Alternativen geht – zumindest dann, wenn man das Ganze ernsthaft und nicht nur oberflächlich diskutieren will. Das zeigen uns viele oftmals kritische bis ablehnende Haltungen vor Ort – etwa gegen den Ausbau unserer Energienetze oder gegen die Installierung neuer Windkraftanlagen. Und die werden sich sicher nicht über Nacht ändern lassen.

Damit aber steht auch die hessische Energiepolitik vor der großen Herausforderung, einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, wie eine künftige Energieversorgung ohne Kernenergie konkret aussehen und wie diese erreicht werden soll.

Einfach nur zu fordern, die Kernkraftwerke in Deutschland sofort abzuschalten, greift zu kurz und löst unsere Probleme nicht!

In Deutschland die Atomkraftwerke abzuschalten, um anschließend den Atomstrom aus dem Ausland nach Deutschland zu importieren, halten – wie ich finde zu Recht – 70% unserer Bürger für Unsinn. Genau dies geschieht aber zurzeit. Seit Beginn des Moratoriums werden täglich rund 3.000 Megawattstunden Strom aus Frankreich und 2.000 Megawattstunden aus Tschechien importiert, und dies ist ganz überwiegend Strom aus Kernkraft. Dieser Umstand beschäftigt viele Menschen in Hessen, wie ich erst letzte Woche in meiner Online-Bürgersprechstunde erfahren konnte. Das ist ein Widerspruch, den wir nicht verschweigen dürfen – insbesondere unter moralischen Aspekten. Ob wir ihn aushalten, ist eine andere Frage.

Wir werden auch noch fundamentalere Widersprüche aushalten müssen:

Es besteht offenkundig Übereinstimmung, dass das berühmte „Restrisiko“ der Atomkraftnutzung jedenfalls längerfristig als nicht mehr vertretbar angesehen wird. Wir erklären dies damit, dass wir nach Japan das Sicherheitsrisiko im Ergebnis für zu hoch halten. Wie erklären wir dann aber unserer Bevölkerung, dass nicht nur in den USA oder in den Schwellenländern China, Indien oder Brasilien die Kernkraftnutzung beibehalten, ja sogar ausgebaut werden soll, sondern auch unsere europäischen Nachbarn mit Ausnahme Österreichs genau den entgegen gesetzten Weg gehen?

Bei einer nuklearen Katastrophe liegen dann diese Kraftwerke nicht wie in Japan 9000 km weit weg, sondern vor unserer Haustür.

Ich empfehle uns auch, nicht oberlehrerhaft als Deutsche unsere Nachbarn zu belehren. Polen zum Beispiel erzeugt 90 Prozent seiner Energie mit Kohlekraftwerken und hat beschlossen, diesen Energiebedarf zukünftig durch Kernkraftwerke zu ersetzen. Als Begründung verweist das Land darauf, dass nur so das Klimaschutzziel zu erreichen sei. Diese Auffassung wird übrigens von vielen Staaten und auch früheren Atomkraftgegnern geteilt. So fordert zum Beispiel – wie in der FAZ nachzulesen war – der Mitbegründer der Anti-Atomkraft-Bewegung in den USA, Stewart Brand, inzwischen die weitere Nutzung der Kernkraft, da ansonsten die Klimaschutzziele nicht einzuhalten seien.

Wir haben uns anders entschieden und werden diese Widersprüche aushalten müssen. Das kann uns umso besser gelingen, wie wir andere Wege aufzeigen, die erfolgreich und überzeugend sind.

Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur und zuvor viele Jahre SPD-Staatssekretär im hessischen Wirtschaftsministerium zu Zeiten von Ministerpräsident Eichel, hat es auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:

„Wir können nicht alles abschalten und nichts anschalten.“

(Financial Times Deutschland, 07. April 2011)

Und deshalb sage ich: Wir werden die Zukunft nicht gewinnen, wenn wir grundsätzlich für alles, aber konkret für nichts sind. Wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht, wenn wir nur sagen, was wir nicht wollen. Wir müssen belastbar und nachvollziehbar den Menschen die realistischen Alternativen aufzeigen. Mit Augenmaß und Vernunft. Denn ansonsten wird uns keiner folgen, wird der angestrebte Konsens nicht gelingen.

Strom muss auch bezahlbar bleiben

Hessen ist Industriestandort und Verkehrsknotenpunkt. Die hessische Wirtschaftskraft liegt über der von Portugal und Finnland. Pro Kopf liegt unser Bruttoinlandsprodukt sogar über dem der USA. Ich denke, es ist Konsens, dass wir unser hohes Wohlstandsniveau halten wollen. Die Unternehmen, die hier in Hessen Arbeitsplätze geschaffen haben, vertrauen darauf, dass Energie weiterhin jederzeit verfügbar und bezahlbar ist.

Denn was hilft es uns, wenn wir von Prognosen einiger hunderttausend neuer Arbeitsplätze in Deutschland durch den massiven Ausbau Erneuerbarer Energien lesen, dabei aber außer Acht lassen, dass möglicherweise mehr Arbeitsplätze durch die Abwanderung energieintensiv produzierender Branchen verloren gehen.

Hessen ist ein starkes Industrieland und muss es auch bleiben! Auch zukünftig sollen zum Beispiel in Rüsselsheim oder Baunatal Autos gebaut werden und wir wollen auch zukünftig die Internetkapazitäten ausbauen. Auch unter Energiegesichtspunkten ist dies eine große Herausforderung. So verbraucht zum Beispiel der größte europäische Internetknoten in Frankfurt soviel Strom wie eine Stadt von 80.000 Einwohnern.

Wir stehen hier vor einer doppelten Herausforderung:

Wir müssen darauf achten, dass die Energiekosten nicht so hoch werden, dass Betriebe abwandern oder hier nicht mehr investieren. Deshalb muss in diesem Strom auch bezahlbar bleiben. Schon heute ist der Industriestrom in Deutschland doppelt so teuer wie in Frankreich.

Zum anderen können alternative Energien – jedenfalls zurzeit – den Energiebedarf gerade solcher sehr energieintensiv produzierenden Unternehmen nicht zuverlässig decken. Gerade die sogenannte Grundlastversorgung mit Energie erfolgt heute deshalb noch durch die Kraftwerke.

Die Fließbänder bei Opel – und nicht nur dort – müssen laufen, unabhängig davon, ob gerade die Sonne scheint oder der Wind weht. Da es uns an Speichertechnik und Leitungen fehlt, muss deshalb zumindest für eine Übergangszeit die Energiegewinnung auch durch konventionelle Kraftwerke gesichert werden. Dies sieht offensichtlich auch der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel so, wenn er zum Beispiel in der FAZ-Sonntagszeitung vom 10.04. die weitere Nutzung und den Ausbau von Kohlekraftwerken fordert.

Bei uns in Hessen wird dies ganz praktisch bedeutsam, wenn es um einen möglichen Ausbau des Kohlekraftwerkes Staudinger – eine Investition von 1,9 Milliarden Euro – geht.

Wir dürfen bei allen anstehenden Entscheidungen auch die sozialen Belange unserer Bürgerinnen und Bürger nicht aus dem Auge verlieren. Sie sind bereits heute durch hohe Energiepreise – etwa bei Benzin oder Gas – belastet. Wenn wir über den Ausbau Erneuerbarer Energien sprechen, dann dürfen wir nicht nur an den Hauseigentümer denken, der aufgrund des EEG und der Einspeisevergütung in eine Solaranlage auf seinem Hausdach investieren kann.

Die Solartechnik hat nur einen Anteil von 10 Prozent an den erneuerbaren Energien, verursacht derzeit aber die Hälfte aller Kosten. Die rechnet sich auch nur durch die Einspeisevergütung, die zwar von allen Bürgern bezahlt werden muss, aber nur Grundstückseigentümern zu Gute kommt. Gerecht ist dies nicht!

Wir müssen auch und insbesondere die Familien und Geringverdiener im Blick haben, die zur Miete wohnen und für die eine Strompreiserhöhung um mehrere Euro pro Monat eine erhebliche Belastung darstellen würde. Umwelt- und Klimaschutz in der Energiepolitik darf deshalb nicht ohne Rücksicht auf Kosten für die Arbeitnehmer, Rentner, Familien und Geringverdiener gehen.

Engergiekonzept der Landesregierung

Diese Überlegungen sind auch der Rahmen für die Weiterentwicklung des Energiekonzeptes der Landesregierung. Die Ziele und Eckpunkte dieses Energiekonzeptes wurden mit dem Bericht des Energie-Forums Hessen 2020 Anfang letzten Jahres vorgelegt.

Damit liegen für die zentralen Handlungsfelder

• Energieeinsparung und Steigerung der Energieeffizienz sowie

• Ausbau der Erneuerbaren Energien

klare Zielvorgaben und konkrete Maßnahmen zu ihrer Erreichung für Hessen vor.

Die Ziele sind – und das bestätigen uns die Fachleute – ambitioniert, aber erreichbar. Der Endenergieverbrauch soll bis 2020 um 20 Prozent gesenkt werden. Durch die Minimierung des Primärenergieeinsatzes und die rationelle Energienutzung. Der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch (ohne den Verkehrssektor) soll auf 20 Prozent erhöht werden.

Ob es uns gelingen kann, unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die Zielmarken noch höher zu setzen, ohne das Ziel einer bezahlbaren Energie für alle aus den Augen zu verlieren – darüber lasse ich gerne mit mir reden. Aber viel wichtiger als Prozentsätze ist doch die Frage der konkreten Fortschritte und der Umsetzung.

Und hier bescheinigt uns die von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, oft zitierte Bundesländer-Vergleichsstudie der Agentur für Erneuerbare Energien auch durchaus beachtliche Fortschritte. Dass Hessen in diesem Vergleich insgesamt nur auf Platz 13 – und damit einen Platz besser als bei der letzten Erhebung – liegt, hat ja Gründe. Wenn man – wie es die Studie macht – den Anteil erneuerbarer Energien ins Verhältnis zum Primärenergieverbrauch bzw. zum Endenergieverbrauch setzt und gleichzeitig aber nicht die Infrastruktur, die Bevölkerungszahl, die Industriedichte und den vorhandenen Kraftwerkspark berücksichtigt, dann relativiert sich der vermeintlich schlechte Rang Hessens im Ländervergleich. Durch die stark vertretene Industrie im Rhein-Main-Gebiet und den Flughafen Frankfurt Rhein-Main haben wir per se einen hohen Energieverbrauch in Hessen.

In vielen Kriterien zeigt sich, dass die von uns eingeleiteten Maßnahmen Wirkung entfalten:

• Bei der Bewertung der Landespolitik zur Bioenergie belegen wir in einer Verbändebefragung Platz 1. Wir wollen hier noch besser werden, indem wir von der reinen Stromerzeugung auch zur Wärmenutzung kommen.

• Bei den Informationen über die Nutzungsmöglichkeiten Erneuerbarer Energien liegt Hessen auf Platz 3.

• Bei der Vorbildfunktion des Landes in der Nutzung Erneuerbarer Energien ist es Platz 4. Hier wird anerkannt, dass die Landesliegenschaften seit Januar 2010 zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt werden. Hier zeigen sich die Erfolge des Projektes BIOREGIO Holz, mit dem die Wärmeversorgung in öffentlichen Gebäuden systematisch von fossilen Energieträgern auf Holz umgestellt werden soll.

• Vordere Plätze erreicht Hessen auch bei der Erzeugung von Wärme mit Pelletsheizungen und der Installation von Photovoltaik-Anlagen. In beiden Bereichen zeigt sich in den letzten Jahren eine hohe Dynamik. Mit der Erstellung des Solarkatasters werden wir ein wichtiges Instrument zum weiteren Ausbau von Photovoltaik-Anlagen haben, weil die Bürgerinnen und Bürger direkt sehen können, ob ihre Dächer für entsprechende Installationen geeignet sind.

• Und schließlich sollten wir nicht verleugnen, wie dynamisch sich der Anteil der Biomasse an der Stromerzeugung als derzeit wichtigster Träger der erneuerbaren Energien in Hessen in den letzten Jahren entwickelt hat. Wärme und Strom aus Holz oder Biogas sorgen in Hessen derzeit für 80 Prozent der regenerativen Energieerzeugung. Das sind 10 Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt.

Diese Erfolge, meine Damen und Herren, sollten wir nicht kleinreden. Darauf lässt sich genauso aufbauen wie auf der in der Studie festgestellten gesellschaftlichen Akzeptanz Erneuerbarer Energien in Hessen, in der wir Platz 3 belegen. Gerade im Hinblick auf die in den vor uns liegenden Monaten anstehenden Diskussionen und Entscheidungen ist das ein gutes Vorzeichen.

Auch beim Thema Windkraftanlagen sollten wir zunächst einmal die Fakten zur Kenntnis nehmen. In Hessen sind 820 Anlagen im Betrieb oder in Planung. Wenn wir schneller aus der Kernenergie aussteigen wollen, müssen wir auch das Thema Windkraft verstärkt in den Blick nehmen.

Nur, meine Damen und Herren, Sie wissen doch selbst am besten, dass gerade der Ausbau der Windkraft an den erheblichen Widerständen vor Ort scheitert. Keine der Erneuerbaren Energien stößt auf so erbitterten Widerstand vor Ort wie die Windkraft. Im Kleinen ist es also nicht weit her mit der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Energieform. Ein Beispiel: Im nordhessischen Bad Arolsen hat eine Bürgerliste gegen 15 Windkrafträder bei der Kommunalwahl auf Anhieb fast 18 Prozent erreicht und ist damit drittstärkste Kraft im Stadtparlament. Dies zeigt: Die Windräder sind in großen Teilen der Bevölkerung umstritten.

Die Akzeptanz zu fördern, dies ist eine große und schwierige Aufgabe. Wir müssen prüfen, inwieweit Beteiligungsmodelle wie Bürgerwindanlagen hier hilfreich sind. Wir müssen die interkommunale Zusammenarbeit in diesem Bereich verstärken. Und wir müssen sehen, ob es für die betroffenen Kommunen einen Nutzen in finanzieller Hinsicht geben kann.

Den Kommunen soll aber nicht nur im Hinblick auf die Akzeptanzgewinnung, sondern auch als Mitgestalter der Energiewende eine besondere Rolle zukommen.

Die Kommunen sind schon heute als Eigentümer der Stadtwerke oder Energieverbundunternehmen wichtige Akteure. Es wird zu prüfen sein, wie diese Rolle ausgebaut werden kann, ohne dass die Kommunen sich hierbei finanziell überfordern oder unvertretbare Risiken eingehen.

Dazu steht nicht im Gegensatz, dass wir bei den immensen Investitionskosten für eine Energiewende auch privates Kapital brauchen werden und dieses auch nutzen sollten. Gerade den großen Kraftwerkbetreibern kann hier eine wichtige Aufgabe zukommen.

Ein wichtiger Punkt ist auch unser höchst kompliziertes Planungsrecht; beginnend mit der Regionalplanung. Der Landesentwicklungsplan ist derzeit in Überarbeitung. Wir werden uns nicht scheuen, ausreichende Windvorrangflächen auszuweisen. Dabei wird uns in absehbarer Zeit eine Windkarte zur Verfügung stehen, die die optimale Auswahl von Vorrangflächen und eine Kosten-Nutzen-Analyse für die Windkraft erst ermöglicht.

Dies wird ein großer Schritt sein, um im Vorfeld von Entscheidungen Fakten gestützte Argumente an der Hand zu haben. Aber damit haben Sie den breit verankerten emotionalen Widerstand gegen den Neubau von Windkraftanlagen noch lange nicht aufgelöst.

Mit den Regionalen Energiekonzepten für die Regionalplanung werden wir in absehbarer Zeit Szenarien zu den technischen, aber auch den raumordnungspolitisch abgewogenen Potenzialen für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Hessen, also auch der Windkraft, vorliegen haben. Die Regionalen Energiekonzepte werden für alle drei Regierungspräsidien und den Planungsverband Frankfurt Rhein-Main nach einem einheitlichen Kriterienkatalog für die Auswahl energetisch geeigneter Flächen erstellt.

Nur, eine Bindungswirkung entfalten die Gutachten erst nach Beschlussfassung durch die Regionalversammlung bzw. die Verbandskammer. Insoweit ist klar: Wenn es um die konkrete Ausweisung von ausreichenden Windvorrangflächen geht, dann sind die Regionalversammlungen bei den Regierungspräsidien und der Planungsverband gefordert.

Selbst wenn es uns gelingen sollte – und da sind alle Parteien gefragt, nach der Kommunalwahl die GRÜNEN ganz besonders –, eine größere Akzeptanz für den Ausbau der Windkraft in Hessen in der Bevölkerung zu erreichen, selbst dann haben wir bei weitem noch nicht die Kapazitäten, die wir benötigen.

Deshalb kommen wir nicht darum herum, die in der Dena-Netzstudie aufgeführten Punkte für eine verlässliche, jederzeit verfügbare Energieversorgung zu diskutieren:

  1. Die Bereitstellung eines sicheren und kostengünstigen Kraftwerksparks auf der Basis eines effizienten Zusammenspiels zentraler und dezentraler Erzeugungstechnologien

  2. Den Zubau hocheffizienter fossil befeuerter Kraftwerke, die Intensivierung des KWK-Ausbaus neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien

  3. Den Ausbau der Kapazität im Verbundnetz für den Stromtransport vom Norden in die Lastzentren des Südens. Den Ausbau der Hochspannungsnetze in die Ballungsräume im Süden Deutschlands aufzuschieben, bedeutet, den Ausbau Erneuerbarer Energien zu verhindern. Schätzungsweise 3.400 Kilometer Leitungsnetze werden mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland zu errichten sein. Auch hier haben wir Bezahlbarkeit und Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Am Ende müssen wir beispielsweise deutlich machen, was der Bau einer Erdleitung im Gegensatz zur konventionellen überirdischen Stromtrasse für Anwohner, Verbraucher, für Unternehmen und Arbeitsplätze bedeutet.

  4. Die Fragen von Lastmanagement und Speicher. Wenn Stromerzeugung und Stromnachfrage wie bei Wind und Sonne auseinanderfallen, brauchen wir eine zunehmende Flexibilisierung unseres Energiesystems – zum Beispiel innovative Speichersysteme.

  5. Die Nutzung neuer Technologien in Verbindung mit Smart Meter/ Smart Grids zur nachfrage- und angebotsseitigen Systemoptimierung. Es geht also auch hier um ein intelligentes Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch, um eine optimale Netzauslastung zu erreichen.

Dies alles sind Aspekte, die verdeutlichen, dass wir in Hessen keine Insel, sondern in die nationalen und europäischen Rahmenvorgaben eingebunden sind.

Ob es vor diesem Hintergrund klug und richtig ist, auf ein Konzept der Energieautonomie zu setzen – da bin ich eher skeptisch

• in Anbetracht der Tatsache, dass wir in einer global vernetzten Welt leben;

• vor dem Hintergrund eines europäischen Stromverbunds, in dem Ex- und Import von Strom eine selbstverständliche Realität sind;

• unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine verlässliche Grundlastversorgung immer im Kontext eines überregionalen Stromverbundnetzes zu sehen ist;

• mit Blick auf die Herausforderung, dass wir doch sinnvollerweise vorrangig die Gewinnung alternativer Energien dort ansiedeln, wo die räumlichen und geographischen Voraussetzungen die besten sind. Das spricht für den Ausbau von Offshore-Windparks etwa vor der Nord- und Ostseeküste – unter der dringlichen Maßgabe eines Ausbaus der Energienetze, denn bereits heute scheitert die volle Nutzung der vorhandenen Kapazitäten von Offshore-Windparks vor der Küste Schleswig-Holsteins an der fehlenden Netzinfrastruktur. Das spricht auch für den Ausbau von Solarthermie-Anlagen in den von der Sonne begünstigten Regionen Südeuropas.

Ich habe deshalb Bedenken gegenüber einem Ansatz, der die Energieautonomie in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt.

Ich warne auch davor zu glauben, dass uns der Ausbau der dezentralen Energieversorgung die Mühen der Planung und des Baus großer Stromleitungen erspart. Wir brauchen beides!

Damit dies in angemessener Zeit geschehen kann, müssen wir auch daran gehen, die hochkomplizierten und langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren zu straffen und eine möglichst bundeseinheitliche Rechtsgrundlage zu schaffen.

Dies gilt meines Erachtens auch für den Bau von Gaskraftwerken, denen jedenfalls auf den ersten Blick eine besondere Bedeutung zukommen wird.

Durch Fördermaßnahmen deutliche Fortschritte erzielt

Meine Damen und Herren, nur wenn wir die Netze ausbauen und wenn es uns gelingt, die Stromspeichertechnologien zu revolutionieren, können wir ernsthaft die Erneuerbaren Energien langfristig zur Regelenergie aufwerten. Mit den Erneuerbaren Energien eröffnet sich ein Markt für Technologien mit höchstem Innovationspotential. Nur wer im Bereich der Forschung rund um die Erneuerbaren Energien genauso gut ist wie in der Produktion von Wechselrichtern, von moderner Heizungstechnik und energiesparenden Komponenten für die Informationstechnologie und die Industrie, wird von den internationalen Marktchancen profitieren. Hessen hat in diesen Bereichen Weltmarktführer zu bieten und setzt seit Jahren mit großem Erfolg auf die Förderung von Forschung und Technik sowie die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Verbänden.

Neben einem anderen Energiemix der Zukunft bieten die verstärkte Energieeinsparung und der effiziente Einsatz von Energie die besten Chancen für eine andere Energiepolitik. Denn die einfachste Art, unsere Ziele zu erreichen ist es, weniger Energie zu verbrauchen. Dabei wissen wir, dass auch im Bereich der Energieeffizienz dem landesgesetzlichen Gestaltungsspielraum in der Energiepolitik über den Vollzug von Bundesgesetzen hinaus enge Grenzen gesetzt sind.

Dennoch: Wir haben in den letzten Jahren im Bereich der Energieeffizienz durch verschiedene Fördermaßnahmen deutliche Fortschritte erzielt:

• mit der Förderung der Passivhausbauweise im Gebäudebestand und bei Neubaugebieten

• mit der Förderung der energetischen Modernisierung von kommunalen Liegenschaften und Gebäuden, die der sozialen Infrastruktur dienen (Bund-Länder-Investitionspakt)

• mit der Förderung von Querschnittstechnologien zur effizienten Stromanwendung im Industriebereich (Projekt HIER!) sowie

• mit Informations- und Qualifikationsmaßnahmen zu energiesparenden Bauweisen.

Im Bereich der Energieeffizienz und der Energieeinsparung brauchen wir verstärkte Anstrengungen. Wir müssen neben der Fortsetzung gezielter (Förder-) Maßnahmen ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung der Energieeinsparung in der Bevölkerung verankern. Wenn es uns gelingt, unter dem Slogan „Hessen schaltet um“ eine große Mitmachaktion für die Energieeinsparung bei den Bürgerinnen und Bürgern auszulösen, dann werden wir unseren ehrgeizigen Einsparzielen ein gutes Stück weit näher kommen.

In diesem Zusammenhang stimmt mich die beabsichtigte Verfünffachung der Mittel aus dem KfW-Kreditprogramm für eine verbesserte Gebäudesanierung, die Bestandteil des zwischen BMWi und BMU abgestimmten Sechs-Punkte-Programms für eine beschleunigte Energiewende ist, hoffnungsfroh. Damit diese Mittel auch rasch im Sinne der Energieeffizienz eingesetzt werden können, sollten die oft bürokratischen und schwer verständlichen Antragsformulare deutlich vereinfacht werden.

Hessischer Energiegipfel ist eine große Chance

Meine Damen und Herren,

mit den in Deutschland erfolgten Reaktionen auf das Reaktorunglück in Japan steht die Politik, stehen wir als gewählte Volksvertreter vor einer enorm verantwortungsvollen Aufgabe. Die Weichenstellungen, die in den kommenden Monaten zu treffen sind, entscheiden ganz maßgeblich über die Zukunft unseres Landes. Diese Weichenstellungen sollten getragen sein von einem breiten gesellschaftlichen Konsens – auch hier bei uns in Hessen.

Deshalb habe ich zu einem Hessischen Energiegipfel eingeladen. Deshalb begrüße ich die Teilnahme weiterer gesellschaftlicher Gruppen und Experten – etwa der kommunalen Energieversorger oder der Umweltverbände – an den einberufenen Arbeitsgruppen.

Der Hessische Energiegipfel ist eine große Chance. Wir können zeigen, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden. Wir können zeigen, dass wir gemeinsam in Hessen die Weichen zu einer Energiepolitik mit Augenmaß und für eine gute Zukunft unseres Landes stellen.

Nutzen wir die Chance. Es liegt viel Arbeit vor uns.

Vielen Dank!

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