„Die Nachricht vom Tod Marcel Reich-Ranickis lässt niemanden unberührt. Marcel Reich-Ranicki hat die Kultur, namentlich das literarische Leben des 20. und 21. Jahrhunderts, maßgeblich geprägt. Unser Land verdankt ihm unermesslich viel, denn mit seinem Engagement für die Literatur hat er den Stimmen der Humanität und des Miteinanders Gehör und Geltung verschafft. Sein persönlicher Lebensweg beeindruckt die Menschen. Er spiegelt die Dramatik der deutschen Geschichte und die Erbarmungslosigkeit der nationalsozialistischen Diktatur, spiegelt den Bruch Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch Marcel Reich-Ranicki verkörperte auch die Hoffnung, dass Mitmenschlichkeit und Frieden geschaffen und bewahrt werden können.“

Mit diesen Worten würdigte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier den heute verstorbenen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. „Ich verneige mich vor Marcel Reich-Ranicki als einer großen Persönlichkeit der Kultur“, erklärte Bouffier weiter. „Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen, Freunden und Wegbegleitern. Das Land Hessen ist stolz darauf, dass er viele Jahre seines Lebens in Frankfurt gewirkt hat.“ Dies komme nicht zuletzt in der Wilhelm Leuschner-Medaille zum Ausdruck, der höchsten Auszeichnung des Landes, die Marcel Reich-Ranicki 1992 verliehen worden sei.

Marcel Reich-Ranicki, geboren am 2. Juni 1920 in Wloclawek (Polen) als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, siedelte 1929 mit seiner Familien nach Berlin um. Im Herbst 1938 wurde er verhaftet und nach Polen deportiert. Ab 1940 lebte er im Warschauer Ghetto. Anfang 1943 beteiligte er sich an einer Widerstandsaktion der jüdischen Kampforganisation ZOB. Kurz darauf floh er zusammen mit seiner Frau Teofila, die er 1942 geheiratet hatte, in den Untergrund. Nach der Befreiung Polens blieb er in Warschau und trat der Kommunistischen Partei bei. Er gehörte 1946 der polnischen Militärmission in Berlin an, arbeitete ab 1947 im polnischen Außenministerium und war 1948 und 1949 Konsul in London. Nach seiner Abberufung, die er aus politischen Gründen selbst gefordert hatte, wurde er aus dem Auswärtigen Dienst entlassen, aus der Partei ausgeschlossen und inhaftiert. Seine nachfolgende Arbeit – er gründete und betreute in einem Warschauer Verlag ein Lektorat für deutschsprachige Literatur – musste er Ende 1951 aufgeben. Auch als freier Schriftsteller litt er unter politischer Repression und einem zeitweiligen Publikationsverbot. Von einem Studienaufenthalt in der Bundesrepublik 1958 kehrte er nicht mehr nach Polen zurück. Er lebte mit seiner Familie zunächst in Frankfurt, dann in Hamburg und ab 1973 wieder in Frankfurt und schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Die Welt“ und „Die Zeit“. Von 1973 bis 1988 leitete er die FAZ-Redaktion für Literatur und literarisches Leben. Neben der Wilhelm Leuschner-Medaille erhielt er zahlreiche weitere Auszeichnungen, darunter 1999 den Hessischen Kulturpreis.

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag