Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe vom 27. Januar 2014) spricht der Landesvorsitzende der CDU Hessen, Ministerpräsident Volker Bouffier, u.a. über Einwanderung, den deutschen Arbeitsmarkt, Fluglärm und Max Mustermann. Das Interview in voller Länge können Sie hier nachlesen.

F.A.Z.: Herr Ministerpräsident, wie überrascht waren Sie bei Ihrer Wahl im Hessischen Landtag von dem Herausforderer Max Mustermann?

Bouffier: Ich bin schon so lange im Geschäft, dass ich eigentlich gar nichts mehr ausschließe auf dieser Welt. Überrascht war ich aber jetzt doch, weil wir in den Fraktionen eigens darauf hingewiesen wurden, dass das Verfahren sicher sei.

F.A.Z.: Im zweiten Wahlgang haben Sie ja dann doch alle Stimmen der schwarz-grünen Koalition und sogar eine Stimme aus den Reihen der Opposition erhalten. Und die Linkspartei hat auch mit den Stimmen der CDU einen Vizepräsidenten bekommen. Wird der neue Landtag anders als früher wirklich so harmonisch, wie es in den Sondierungsgesprächen nach der Landtagswahl vorgelebt wurde?

Bouffier: Es wird auch in Zukunft weiter gestritten. Das Parlament ist der Ort, um deutlich zu machen, wer für welche Position spricht. Und das mit Leidenschaft. Die Grenze ist da, wo es ins Persönliche geht. Das verbessert die Argumentation nicht. Ich glaube, dass sich die Entwicklung nach der Landtagswahl positiv auswirken kann.

F.A.Z.: Ihr neuer Partner Tarek Al-Wazir hat seinen grünen Parteifreunden versprochen, dass Hessen in fünf Jahren deutlich grüner sein wird. Wo wird Hessen denn schwärzer?

Bouffier: Hessen ist weder schwarz noch grün. Hessen ist ein starkes Land. Es ist unser Ziel, dass Hessen auch in fünf Jahren noch ein starkes Land ist, in dem die Menschen gute Arbeitsplätze und ein gutes Einkommen haben. Die CDU hat dieses Land in den vergangenen 15 Jahren geführt, einmal allein und zweimal mit der FDP. Wir haben uns nun aus überzeugenden Gründen für eine Koalition mit den Grünen entschieden. Erfolge dieser Regierung sind gemeinsame Erfolge, aber jeder Partner wird auch eigene Akzente setzen. Diejenigen, die schon politisch gestaltet haben, wollen ihre Erfolge fortschreiben und neue hinzufügen. Jene, die neu hinzukommen, werden sich mit neuen Ideen und Vorhaben bemerkbar machen.

F.A.Z.: Hessen ist ein Transitland. Wer mit dem Auto nach Hessen kommt, wird mit dem Spruch „Hessen. Daran kommt niemand vorbei“ begrüßt. In diesem Sinne: Sind Sie für oder gegen die von der CSU versprochene PKW-Maut?

Bouffier: Die hessische CDU hat sich bereits frühzeitig für eine Maut ausgesprochen, die den deutschen Autofahrer nicht belasten darf.

F.A.Z.: Das kriegen sie hin und auch europarechtlich sauber?

Bouffier: Das glauben wir schon. Wir müssen zwei Dinge zusammenbringen: Die Autofahrer, die hier ihren Wagen zugelassen haben und hier ihre Kfz-Steuern zahlen, dürfen nicht zusätzlich belastet werden. Und die anderen, die unsere Verkehrsinfrastruktur nutzen, müssen ihren Beitrag leisten. Man kann überlegen, ob man das mit einer Vignette macht. Ich bin sicher, dass Verkehrsminister Dobrindt einen Vorschlag machen wird. Aber die Grundidee hat die Hessen-CDU schon vor drei Jahren verfolgt.

F.A.Z.: Was halten Sie von dem CSU-Slogan „Wer betrügt, der fliegt“? Könnte ja fast von Ihrem Vorgänger Roland Koch stammen...

Bouffier: Das ist alles ziemlich platt. Sowohl der Spruch als auch die Aufregung darüber. Beides hat wochenlang die Diskussion beherrscht. Wie auf Knopfdruck sind die Pawlowschen Reflexe gekommen. Das hat aber noch nichts mit der Sache zu tun. Die Frage ist doch, wie wir mit der Erweiterung der Arbeitsniederlassung von Rumänen und Bulgaren umgehen. Und die Frage, wie gehen wir um mit einem möglichen Missbrauch der deutschen Sozialsysteme. Die Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts ist generell richtig. Insgesamt tut man aber gut daran, in der richtigen Sprache die Sachverhalte zu benennen.

F.A.Z.: Dann unterstützen Sie also den Satz von Bundespräsident Gauck: „Einwanderung tut diesem Land sehr gut“?

Bouffier: Wir brauchen einen Diskurs darüber, was wir wollen. Und wenn wir über Einwanderung sprechen, müssen wir sagen, welche Einwanderung wir wollen. Wir wollen Menschen in Not helfen, aber eine reine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wäre töricht. Und es zerstört die Akzeptanz von Einwanderung. Meiner Ansicht nach brauchen wir mehr qualifizierte Einwanderung. In dem Sinne, dass Menschen, die hierher kommen, eine neue Heimat finden und sich von Anfang an eine selbständige Existenz mit qualifizierter Arbeit aufbauen. Aber das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und wir dürfen nicht dieselben Fehler machen wie bei der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in den sechziger Jahren. Damals hatte Deutschland kein Konzept. Es reicht nicht, wenn der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sagt: „Wir brauchen mehr Einwanderung von Fachkräften.“ Wir brauchen vorher einen Konsens in der Frage: Was wollen wir? Das Entscheidende ist eine Politik, die uns nützt und gleichzeitig unsere Solidarität mit Menschen in aller Welt stützt.

F.A.Z.: Aber in der aktuellen Debatte über die Armutseinwanderung aus den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien können Sie diesen Grundsatz doch gar nicht anwenden, wie in den Vereinigten Staaten oder in Kanada zu bewerten, welche qualifizierte Einwanderer man haben will. Die Probleme der Minderheit der Roma in diesen beiden Ländern – und um die geht es ja vor allem in der Debatte – waren doch schon lange vor Unterzeichnung der EU-Beitrittsverträge bekannt. Dass viele Roma jetzt ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland suchen und ihr garantiertes Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU nutzen, war doch abzusehen.

Bouffier: Mit der Entscheidung für die Europäische Gemeinschaft haben wir eine Grundentscheidung getroffen, die für alle gilt. Sonst ist die europäische Idee ein Muster ohne Wert. Das will ich nicht. Bedauerlich finde ich, dass die EU das Problem seit Jahren gesehen hat und erhebliche Mittel zur Verfügung stellt, um diesen Menschen zu helfen und sie dafür auszurüsten, ihr Leben im 21. Jahrhundert in einem modernen Staat zu meistern. Nun stellen wir fest, dass diese Mittel kaum abgerufen wurden, weder in Bulgarien noch in Rumänien. Da müssen wir mehr Druck machen.

F.A.Z.: Im Mai steht Ihre Koalition bei der Sicherung der EZB-Einweihung womöglich vor ihrer ersten großen Bewährungsprobe. In Hamburg haben die einst dort mit ihrer Partei regierenden Grünen das Durchgreifen des SPD-Senats und der Polizei gegen die gewalttätigen Proteste verurteilt. Was erwarten Sie von ihrem Koalitionspartner, wenn es in Frankfurt zu einer ähnlichen Situation kommt?

Bouffier: Wir – und damit meine ich sowohl CDU als auch Grüne – werden dafür sorgen, dass Gewalt nicht geduldet wird. Da sind wir uns absolut einig. Und wir werden alles tun, mit einem ganzen Strauß von Maßnahmen, damit es zu Gewalt gar nicht erst kommt. Ich kenne niemanden bei den Grünen, der das anders sieht. Das Demonstrationsrecht wird geschützt – ebenso das Recht der Menschen, die die Einweihung der EZB feiern möchten. Wir wollen die Eröffnung als fröhliches Fest feiern, denn es ist eine Auszeichnung, dass mit der EZB eine der wichtigsten Institutionen der Welt bei uns in Hessen ist.

F.A.Z.: Immer noch nicht geklärt ist die Situation im Bistum Limburg. Halten Sie eine Rückkehr von Bischof Tebartz-van Elst für denkbar?

Bouffier: Ich gehe davon aus, dass der Papst eine kluge Entscheidung treffen wird.

F.A.Z.: Warum sparen Sie gerade bei den Beamten am meisten? Beim Beamtenbund ist zu hören, aus der CDU-Spitze habe es vor der Landtagswahl ganz andere Signale gegeben.

Bouffier: Wir sparen nicht bei den Beamten. Wir wollen weitere Ausgabensteigerungen begrenzen. Das ist ein Unterschied, auf den ich Wert lege. Und ich beteilige mich auch nicht am mancherorts beliebten Beamtenbashing - Hessen hat tüchtige Beamte. Deshalb halten wir unser Wort und erhöhen die Gehälter. Zugleich verfolgen wir aber das politische Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und die Schuldenbremse einzuhalten. Die Personalkosten sind dabei der mit Abstand größte Block. Wenn wir da nicht rangehen, können wir unser Ziel nicht erreichen. Deshalb müssen wir weitere Gehaltssteigerungen dämpfen. Dass die Betroffenen darüber nicht jubeln, dafür habe ich jedes Verständnis.

F.A.Z.: Durch ein Urteil in Rheinland-Pfalz wird sich bald auch das Bundesverfassungsgericht mit der Rechtmäßigkeit der Begrenzung der Beamtengehälter befassen. Haben Sie oder Ihr Finanzminister Schäfer einen Plan B, wenn Karlsruhe Ihnen einen Strich durch die Sparrechnung macht?

Bouffier: Es gibt noch nicht einmal einen Gesetzentwurf, deswegen sind Klagen und allfertige verfassungsrechtliche Stellungnahmen derzeit absurd.

F.A.Z.: Als gesellschaftspolitische Aufgabe Ihrer Koalition soll dank der Grünen ja auch ein Aktionsplan gegen Homophobie entwickelt werden. Haben Sie bei diesem Thema alle in Ihrer Fraktion hinter sich? Sie selbst haben ja gesagt, dass Sie persönlich Bedenken hätten beim Adoptionsrecht für Homosexuelle.

Bouffier: Wir sind zwei verschiedene Parteien – und das bleiben wir auch. Dass wir auf diesem Feld in Einzelpunkten unterschiedliche Auffassungen haben, halte ich für selbstverständlich. Alle Gremien der hessischen CDU haben den Vereinbarungen mit den Grünen einstimmig zugestimmt. Was wollen Sie mehr?

F.A.Z.: Sehen Sie bei der Akzeptanz Homosexueller in Ihrer Partei noch Nachholbedarf?

Bouffier: Wir von der hessischen CDU haben in dieser Frage keinen Nachholbedarf. Jeder Mensch ist frei, so zu leben, wie er das wünscht. Sexuelle Orientierungen sind Privatsache. Dass es den Grünen ein besonderes Anliegen ist, hier noch mehr zu tun, ist sicher auch richtig. Das haben wir besprochen und akzeptiert.

F.A.Z.: In Baden-Württemberg wird derzeit über das Thema sexuelle Vielfalt in einem Bildungsplan heftig gestritten. Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag für Hessen ist vorgesehen, dass man zusammen mit den „Selbstvertretungsorganisationen der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen“ einen „Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt“ erarbeiten will – gerade für die Schulen. Was unterscheidet Schwarz-Grün in Hessen von Grün-Rot in Baden-Württemberg?

Bouffier: Wir werden uns vom Verfahren in Baden-Württemberg unterscheiden. Junge Menschen sollen mit ihrer persönlichen Situation besser umgehen können und auch mit der anderer. Was ich nicht will, ist ein Kulturkampf. Es kann nicht darum gehen, dass wie in Baden-Württemberg eine breite Debatte in den Schulen ausbricht. Der Furor, dass wir irgendjemand erklären, dass er schon immer alles falsch gesehen hat und jetzt bitte richtig sehen soll, führt nicht zum Ziel. Unser großes Ziel muss hingegen eine Gesellschaft sein, die vielfältig ist, aber auch noch besser zusammenhält. Das Entscheidende ist, dass wir am Ende Akzeptanz haben oder, wenn man so will, Selbstverständlichkeit. Ein gutes Anliegen darf nicht am Ende deshalb Schaden nehmen, und da können wir aus Baden-Württemberg lernen, weil ein Verfahren zu Missverständnissen und sogar zu Ablehnung führt.

F.A.Z.: Die Grünen, aber auch Sie haben beim Thema Fluglärmreduzierung Erwartungen bei den Betroffenen geweckt und Befürchtungen in der Luftverkehrsbranche. Werden Sie persönlich eingreifen, wenn durch eine restriktive Haltung des Verkehrsministers Tarek Al-Wazir Jobs auf dem Spiel stehen und Airlines abwandern?

Bouffier: Die Ressortverantwortung trägt der Verkehrsminister. Aber das Thema ist von so überragender Bedeutung, dass es eine Aufgabe der gesamten Regierung ist. Wir haben gemeinsam das Ziel, sowohl die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten als auch den Lärm zu reduzieren.

F.A.Z.: Wann wird es leiser für die Anwohner?

Bouffier: Es wird leiser werden. Aber in welchem Umfang und wie schnell, können wir noch nicht sagen. Wir machen keine Versprechen, die wir nicht halten können.

Die Fragen stellten Reinhard Bingener und Thomas Holl.

 

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung (Ausgabe vom 27. Januar 2014)

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