Volker Bouffier will mit großer Kraftanstrengung die Schuldenthemen angehen. Durch eine notfalls klageweise Veränderung des Länderfinanzausgleichs will er das Land Hessen entlasten. Den hessischen Kreisen und Gemeinden soll ab 2012 durch einen drei Milliarden Euro schweren Rettungsschirm geholfen werden. Und die Landespolitik selbst will sich durch die in der Verfassung zu verankernde Schuldenbremse binden. Bei der Entwicklung der Rhein-Main-Region plädiert er stärker für einen Überzeugungsprozess, denn für pflichtverbandliche Strukturen.

Gießener Anzeiger: Wie ist kurzgefasst die Sicht nach vier Monaten an der Spitze der hessischen Landespolitik, und was sind die Hauptthemen für 2011?

Volker Bouffier: 2010 war eine ungemein spannende und intensive Zeit. Wir werden den Koalitionsvertrag zusammen mit unserem Partner FDP weiter erfüllen, dabei aber mit der von mir veränderten Regierungsmannschaft auch neue Zeichen setzen. Die Erwartungshaltung in den Hauptthemen wirtschaftliche Entwicklung und Arbeit, Bildung, Haushalt und Schulden ist groß. Dabei werbe ich für Gemeinsamkeiten auch über Parteigrenzen hinweg. Und ich will über die eingeführten Bürgersprechstunden viel mehr mit den Leuten unmittelbar und ungefiltert sprechen.

**Gießener Anzeiger: **Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage in Hessen, zugleich aber auch die finanzielle Situation des Landes ein?

Volker Bouffier: Wir haben die beste Arbeitsmarktsituation in Hessen seit 20 Jahren. Und wir haben, worüber ich besonders glücklich bin, mehr Ausbildungsplätze im Angebot als Bewerber. In unseren Staatsfinanzen wirkt sich die Wirtschaftskraft allerdings nur sehr begrenzt für Hessen aus, da wir Jahr für Jahr Milliardenbeträge über den Länderfinanzausgleich an andere Bundesländer überweisen müssen. So haben wir seit 2000 unsere Neuverschuldung um 16 Milliarden Euro erhöht, gleichzeitig aber 26 Milliarden Euro in den Finanzausgleich gezahlt. Hessen will deshalb mit den beiden anderen großen Geberländern Baden-Württemberg und Bayern eine Verfassungsklage erheben.

**Gießener Anzeiger: **Mit welchem Ziel und welcher Konsequenz gegenüber den auf Finanzhilfe angewiesenen Nehmerländern?

Volker Bouffier: Zunächst einmal: Wir stehen zur Solidarität. Wir sind aber nicht bereit, dort Leistungen zu finanzieren, die wir uns im eigenen Land nicht mehr leisten können. Die neue Regierung von Frau Kraft in NRW, die nochmals die Neuverschuldung dort erhöht hat, bietet hierfür viele Beispiele. NRW droht dadurch zum dauerhaften Nehmerland zu werden. Und vor allem: Nicht Nivellierung, sondern Leistungsanreize müssen auch unter den Ländern gelten.

Gießener Anzeiger: Wie soll dies konkret erreicht werden?

**Volker Bouffier: **Wir werden uns am 24. Januar mit den beiden südlichen Bundesländern über die Klage abstimmen. Wir setzen aber auch noch auf Gespräche mit den anderen Ländern und hoffen auf deren Einigungsbereitschaft. Unabhängig davon soll bei der Kommunalwahl am 27. März auch per Volksabstimmung über die Aufnahme der Schuldenbremse in die Hessische Verfassung entschieden werden.

**Gießener Anzeiger: **Welche Bedeutung hat dies für Sie, wo sich doch alle Politiker einig sind, dass es mit dem Schuldenmachen so nicht weitergehen kann?

Volker Bouffier: Ich sehe dies als eine große Leistung, die Schuldenbremse in die Verfassung zu bringen. Denn wir sind ein Staat mit hohem Wohlstandsniveau, wobei allerdings künftige Generationen stark belastet werden. Die Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, regelmäßig mehr auszugeben als einzunehmen. Hier müssen wir Prioritäten verändern. Wir müssen wieder mehr auf Eigenverantwortung und Leistung denn auf Verteilung setzen.

**Gießener Anzeiger: **Aber warum bedarf es dazu der Selbstbeschränkung der Politik, wenn die Einsicht doch vorhanden ist?

**Volker Bouffier: **Politik ist in einer Demokratie nun einmal auch auf die Vergabe von Wohltaten aus. Und Politiker können bei ständiger Verlockung des kurzfristigen Erfolges nicht immer der geforderten Verteilung von Wohltaten widerstehen. Insofern ist eine verfassungsrechtliche Grenze hilfreich. Die Schuldenbremse ist eine komplizierte Materie und für eine Volksabstimmung schwer vermittelbar.

**Gießener Anzeiger: **Würden Sie das Volk auch befragen, wenn die Verfassung dies nicht zwingend vorschreiben würde?

**Volker Bouffier: **Ich halte diesen Weg für gut. Die Bevölkerung muss wissen, dass mit der Schuldenbremse ab deren Wirken in zehn Jahren ein Umsteuern verbunden sein wird. Neben Bund und Ländern haben auch viele Kreise und Kommunen immer größere Probleme mit ihrer Verschuldung.

Gießener Anzeiger: Wie sehen die Pläne des Landes Hessen aus, damit es hier nicht zu "Pleiten" kommt?

**Volker Bouffier: **Wir wollen zum 1. Januar 2012 einen Schutzschirm des Landes Hessen mit drei Milliarden Euro für die von Schulden geplagten Städte und Kreise aufspannen. Dabei muss aber mit den kommunalen Spitzenverbänden eine Verständigung dahingehend erreicht werden, wie mit den höchst unterschiedlichen Situationen der Gebietskörperschaften umgegangen wird und auch welche Schuldenarten betroffen sind. Und als deren Beitrag für den künftigen Schuldenstopp sind selbstverständlich auch eigenständige Finanzkonzepte der Städte und Kreise notwendig.

Gießener Anzeiger: Können Sie dies mal an einem Beispiel konkretisieren?

Volker Bouffier: Für Hessen ist dies mein Lieblingsbeispiel: die nur wenige Kilometer voeinander entfernten und allesamt im Kern des Rhein-Main-Gebietes gelegenen Kommunen Eschborn, Frankfurt und Offenbach. Eschborn ist reich, Frankfurt hat die höchsten Steuereinnahmen der Republik und Offenbach nur sehr geringe. Das zeigt, dass der Rettungsschirm nicht einheitlich übers Land gezogen werden kann, sondern individuell geschaut werden muss, wie zu helfen ist.

**Gießener Anzeiger: **Wo wir gerade bei Rhein-Main sind: Wie soll der Ballungsraum künftig organisiert werden?

**Volker Bouffier: **Rhein-Main ist eine polyzentrische Region, deren besondere Stärke ist die Vielfalt. Im regionalen Flächennutzungsplan gibt es die Pflichtmitgliedschaft. Darüber hinaus gibt es viele freiwillige Aktivitäten. Im Klartext: Mehr regionale Identität, mehr Handlungsfähigkeit für den Verband bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung kommunaler Strukturen. Dabei setze ich auf einen Überzeugungs- und Entwicklungsprozess, nicht hingegen etwa auf einen Pflichtverband für Kultur, für Sport oder auch für Wirtschaftsförderung. Dabei kann der Verband selbst künftig Mitglied in unterschiedlichen regionalen Verbünden sein.

Gießener Anzeiger: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage an den "Gießener Bub": Bleiben Sie als Landesvater Ihrer Region und deren vielfältigen Einrichtungen persönlich verbunden?

Volker Bouffier: Das ist für mich doch selbstverständlich, soweit es die Zeit erlaubt. Im Engagement für die Universität und die Fachhochschule, aber auch für das Theater oder "meine" Basketballer, die Giessen 46ers, können sich alle weiterhin auf mich verlassen.

Das Interview führte Wolfgang Maaß.

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