Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat heute beim Festakt anlässlich des 250. Jahrestages des Einladungsmanifestes von Zarin Katharina II. im Hessischen Landtag an die Auswanderer aus Hessen im 18. Jahrhundert erinnert: „Die meisten Auswanderer, die im 18. Jahrhundert den Weg in die Weiten des Russischen Zarenreiches gewagt haben, kamen aus Hessen. Sie waren die ersten Brückenbauer zwischen Deutschland und Russland und haben die Zusammenarbeit unserer Völker vorweggenommen, als davon noch lange keine Rede war“, erklärte der Ministerpräsident zu Beginn seiner Festrede. Aus diesem Anlass fördere das Land Hessen eine Reihe von Veranstaltungen, um an dieses bedeutsame Kapitel der hessisch-russischen Geschichte zu erinnern. Zudem betonte der Regierungschef, dass er alle Initiativen, die dieses Datum würdigen, begrüße. „Der heutige Festakt ist der Höhepunkt des Jubiläumsjahres und ich danke der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland und der Landsmannschaft der Wolgadeutschen, dass sie diese Festveranstaltung auf die Beine gestellt haben“, so der Ministerpräsident.

Sozialminister Stefan Grüttner betonte in seinem Grußwort, dass dieser Festakt im Rahmen der Patenschaft des Landes Hessen über die Wolgadeutschen zu sehen sei, die seit dem Jahr 1985 existiere. Mit der Übernahme der Patenschaft werde die besondere historische Beziehung zwischen einer Epoche der hessischen Geschichte und den Wolgadeutschen gewürdigt. Die Festigung des ideellen Bandes zwischen dem Land Hessen und den Wolgadeutschen bleibe das Ziel. Der Wille der Landesregierung, die Arbeit der Landsmannschaft auch weiterhin zu unterstützen, werde darin festgeschrieben.

Der Ministerpräsident erklärte, Zarin Katharina II. habe mit dem Manifest vom 22. Juli 1763 ausländische Kolonisten nach Russland eingeladen, um die vormals dünnbesiedelten Wolgagebiete vor Angriffen zu schützen und ihr Reich landwirtschaftlich zu entwickeln. Es handelte sich um ein Aufsehen erregendes, in seinem Umfang und seiner konkreten Planung noch nie dagewesenes Siedlungsprogramm. Hessen habe bei der Auswanderungsbewegung eine bedeutende Rolle gespielt, denn in Büdingen habe es ein Anwerbebüro und eine Sammelstelle für Auswanderungswillige gegeben. „Für viele Nachkommen dieser ersten Kolonisten beginnt mit dem Geschehen dieser Monate in Büdingen eine spannende Familiengeschichte, die sich bis heute nachverfolgen lässt“, betonte Ministerpräsident Bouffier.

Die Einladung der Zarin sei besonders in Deutschland und Hessen auf offene Ohren getroffen, führte der Regierungschef weiter aus. Deutsche begannen in der Folge mit der Gründung der ersten deutschen Kolonien an der Wolga. Doch die Verhältnisse hätten sich rasch geändert. Ursprünglich eingeräumte Privilegien, wie Landnahme, eigene Gerichtsbarkeit und eigenes Schulwesen, Sprechen der deutschen Sprache, Befreiung vom Militärdienst, wurden abgeschafft. Deutsche wurden höchstens geduldet, zu späteren Zeiten unterdrückt, gedemütigt, deportiert, interniert und aus den deutschen Siedlungen verbannt. Der Traum, in der Fremde ein neues, freies Leben führen zu können, sei für viele unerreichbar geblieben. Das habe sich erst geändert, als Mauern und Stacheldraht fielen, erläuterte Bouffier.

Durch die Irrungen und Wirrungen der Geschichte seien die Nachkommen der Deutschen, die vor 250 Jahren nach Russland ausgewandert waren, nach und nach wieder in das Land ihrer Vorväter zurückgekehrt. „Heute können wir mit Anerkennung feststellen: die Deutschen aus Russland sind bei uns angekommen. Auch wenn es nicht immer leicht war, so haben sie ihren Platz gefunden und können ihn mit Selbstbewusstsein einnehmen. Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern“, so Volker Bouffier in seiner Festrede.

Der Ministerpräsident ging in der Folge auch auf die Leistungen des Landes Hessen für die Spätaussiedler ein und nannte beispielhaft das Projekt zur Nachqualifizierung für arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer unter den Spätaussiedlern, das sehr erfolgreich verlaufen sei. Ebenso nannte er die Hessische Fördereinrichtung für junge Zugewanderte in Hasselroth, die eine hervorragende Arbeit leiste und bundesweit einzigartig sei. Die Novellierung des Bundesvertriebenengesetzes vor wenigen Wochen sei gewissermaßen das ideale Geschenk im Jubiläumsjahr. Das Problem schmerzlicher Familientrennungen bei Spätaussiedlern sei damit endlich gelöst. „Die Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf und ich haben zahlreiche Gespräche zu diesem Thema in Berlin geführt. Auf regelmäßigem Austausch basiert der Erfolg unserer hessischen Spätaussiedlerpolitik“, so der Ministerpräsident.

Wichtig sei ihm auch die vor einer Woche getroffene Entscheidung, einen Hessischen „Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation“ ab dem Jahr 2014 einzurichten. Mit diesem landesweiten Gedenktag werde ein sichtbares Zeichen für mehr Völkerverständigung und gegen das Vergessen gesetzt. Durch die Einbeziehung des Begriffes „Deportation“ sei auch die Erinnerung an die tragische Geschichte der Deutschen in Russland sichergestellt.

„Die Hessische Landesregierung steht an der Seite der Spätaussiedler. Sie sind eine Bereicherung für unser Land und Teil unserer nationalen Identität. Mit ihrer wechselvollen Geschichte und ihrem harten Schicksal mahnen sie uns, Frieden in Europa und der Welt zu schaffen und zu erhalten. Seien Sie nochmals versichert: Hessen wird auch in Zukunft fest an der Seite der Wolgadeutschen und der Deutschen aus Russland insgesamt stehen“, betonte der Ministerpräsident zum Abschluss seiner Ausführungen.

Anlässlich des 250. Jahrestages des Anwerbemanifestes habe das Hessische Sozialministerium gemeinsam mit der Stiftung „Vertriebene in Hessen“ einen Dokumentarfilm in Auftrag gegeben, der die Auswanderung, die Vertreibung der Deutschen in Russland und die Rückkehr in die Heimat der Vorfahren anhand von drei Familienschicksalen darstelle, erläuterte Sozialminister Grüttner. Der Film mit dem Titel „Der Ruf der Zarin“ werde beim heutigen Festakt erstmals gezeigt. „Bitten betrachten Sie diesen Film als Geschenk des Patenlandes Hessen im Rahmen der Patenschaft über die Wolgadeutschen“, so Grüttner.

„Für Hessen nimmt die Patenschaft über die Wolgadeutschen einen hohen Stellenwert ein. Die Hessische Landesregierung wird auch künftig ein verlässlicher Partner für die Aussiedler sein“, sagte der Sozialminister abschließend.

Die Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, war frühzeitig in die Gespräche mit der Landsmannschaft zur Organisation des Festaktes eingebunden. „Ich freue mich, dass die Jubiläumsveranstaltung in dieser festlichen Form heute stattfindet und danke allen, die an der Vorbereitung beteiligt waren. Außerdem freue ich mich, dass meine Ideen zu dem Film ‚Der Ruf der Zarin‘ Wirklichkeit werden konnten und die Stiftung ‚Vertriebene in Hessen‘ und das Hessische Sozialministerium die Finanzierung übernommen haben. Möge der Film auf große Resonanz stoßen und besonders auch im Schulunterricht das Interesse an der Geschichte der Russlanddeutschen wecken“, erklärte die hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.

Nach der Vorführung des Films „Der Ruf der Zarin“ von Harald Henn hielt Dr. Katharina Neufeld einen Festvortrag über die Geschichte der Wolgadeutschen. Die Begrüßung zu Beginn der Veranstaltung übernahm der Landesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Johann Thießen. Grußworte sprachen auch Landtagspräsident Norbert Kartmann, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Waldemar Eisenbraun, die BdV-Präsidentin und Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sowie der Vorsitzende der Stiftung „Vertriebene in Hessen“ und Landtagsabgeordnete, Frank Sürmann.

Foto: A. Nazarenus-Vetter

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