Ministerpräsident Volker Bouffier spricht im Wiesbadener Kurier vom 09.02.2017 über die Bedeutung von Respekt im Alltag und über ein prägendes Erlebnis in seiner Schulzeit.

Das Thema ist dem Land Hessen so wichtig, dass die Landesregierung ihm gleich ein ganzes Jahr gewidmet hat: "Hessen lebt Respekt" heißt die Kampagne, die Ministerpräsident Volker Bouffier 2017 ins Leben gerufen hat. Wir haben mit ihm über die Bedeutung von Respekt im Alltag und als Regierungschef gesprochen und erfahren, welches Erlebnis ihn besonders geprägt hat.

Herr Bouffier, wir haben für das Wort "Respekt" 96 Synonyme gefunden, darunter Rücksicht, Achtung oder Bewunderung. Was bedeutet Respekt für Sie persönlich?
Der Kernbegriff eines friedlichen Zusammenlebens. Wir haben eine sehr bunte Gesellschaft, wir müssen aber gleichzeitig versuchen, nach Regeln zu leben, die für alle gelten - sonst kann das nicht friedlich und erfolgreich für alle sein. Die Art des Umgangs miteinander, die Absage an Gewalt, die Absage an Ausgrenzung, das meint für mich Respekt.

Wo ist im Alltag Respekt gefragt?
Im täglichen Leben, im Straßenverkehr. Im Umgang miteinander, auch in den öffentlichen Einrichtungen, im Umgang verschiedener Ethnien, Gruppen und Religionen miteinander. Die Achtung vor dem Menschen, vor Institutionen. Da, wo viele Menschen zusammenkommen, nehmen wir mal den Klassiker im Berufsverkehr in der S-Bahn, U-Bahn, im Bus - wenn man dort nicht respektvoll miteinander umgeht, dann setzt sich ausschließlich das Recht des Stärkeren durch.

Welche Ziele verfolgt die Kampagne "Hessen lebt Respekt"?
Diese Kampagne ist die Antwort des Landes auf eine bedenkliche Entwicklung in bestimmten Teilen unseres gesellschaftlichen Lebens. Sie ist aber nicht der Versuch einer Belehrung, sondern der Versuch, über ganz praktische Beispiele Respekt im Alltag wieder stärker zur Geltung zu bringen. Wir glauben, dass es notwendig ist für den Zusammenhalt der Gesellschaft, unabhängig ob Mann oder Frau, Jung oder Alt, ob Muslim oder Christ oder gar nichts. In einer Gemeinschaft, die sich gut entwickeln soll, werden alle ihren Platz nur dann finden, wenn man sich mit Respekt begegnet.

Wie soll das in der Kampagne konkret aussehen?
Es gibt die "Orte des Respekts", wo man zeigen kann: Hier wird beispielhaft eine Situation gelöst. Noch viel eindrucksvoller sind die "Menschen des Respekts", die wir mit Hilfe unserer Medienpartner einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen wollen. Damit verbinden wir natürlich die Anerkennung für diejenigen, die respektvoll gehandelt haben. Aber ein bisschen auch die Hoffnung, dass derjenige ein Beispiel für andere gibt. Nichts ist überzeugender als das praktische Beispiel.

Gehört zu einer funktionierenden Gesellschaft nicht zwingend auch Respekt vor dem Staat und seinen Regeln? Ist das aus Ihrer Sicht ein Stück weit verloren gegangen?
Ohne Institutionen kann eine Gesellschaft nicht vernünftig leben. Und wenn nun diejenigen, die die entscheidende Verantwortung tragen, zum absoluten Idioten-Freiwild gemacht werden und jeder sich über sie lustig macht, dann darf man sich natürlich nicht wundern, dass Institutionen leiden. Wenn man sich als Verantwortlicher lächerlich macht oder sich sogar noch daneben benimmt, dann darf ich mich auch nicht wundern, wenn eine Institution leidet. Institutionen sind nicht um ihrer selbst willen zu erhöhen, aber sie zu respektieren, das ist klug. Ohne Institutionen ist Wildwest.

Gibt oder gab es in Ihrem Leben eine Respektsperson?
Ja! Meine Eltern, uneingeschränkt. Ich habe auch großen Respekt vor dieser ganzen Generation. Mein Vater wurde 1920 geboren, sein Traum war es, Jura zu studieren. Er hat ein Semester studiert, dann ging es in den Krieg. Er kam zurück: kein Beruf, kein Geld, nichts. Meine Mutter ist Flüchtling. Die waren froh, dass sie überlebt haben. Diese Generation hat Herausragendes vollbracht, davor habe ich großen Respekt. Weil sie die Grundlage dafür gelegt hat, dass es uns so gut geht.

Wer fällt Ihnen noch ein?
Es hat ein Erlebnis gegeben, das mich tief beeindruckt hat. Ich war Schulsprecher an einem großen Gymnasium in der APO-Zeit. Damals war es sehr beliebt, Schule zu sprengen mit dem Ruf: "Macht kaputt, was euch kaputt macht." Da kam eine ganze Horde, mindestens 100, vielleicht auch mehr. Die hielten sich für die Kampftruppe gegen das Establishment, wollten die Schule stürmen. Ich hatte einen Lehrer, der war schwer kriegsbeschädigt, das Bein war amputiert, von kleiner Gestalt, aber dynamisch. Es schlotterten alle. Da ist der runter, schnappte sich ein Megafon, stellte sich vor die Schule und rief: "Wenn ihr hier rein wollt, dann müsst ihr einen Krüppel totschlagen."

Was haben Sie da gedacht?
Das hat mich fasziniert - die ganze Truppe hielt an und zog wieder ab. Das war eine unsichere Situation und er stand da, ganz alleine. Da habe ich mir gedacht: Das ist Tapferkeit. Respekt vor jemandem, der gesagt hat: Hier gelten Regeln.

Für Sie als Regierungschef, mit der Betonung auf Chef, hat Respekt auch etwas mit Autorität zu tun?
Ja, das glaube ich schon. Wir sind ein Kollegialorgan, und am Ende ist doch klar, keiner kann die Welt allein retten, außer James Bond. Es muss darum gehen, mit einer Gemeinschaft ein Ensemble zu bilden. Am Ende geht es ohne Autorität nicht. Und Autorität leitet sich natürlich ein bisschen ab vom Amt. Autorität ist aber noch besser, wenn sie von der Person kommt und für mich ist die größte Autorität die Sachkenntnis.

Das Interview führten Sina Schreiner und Christian Stang.

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