Der CDU-Landesvorsitzende, Ministerpräsident  Volker Bouffier, spricht im Interview mit dem Euro-Magazin über Exzesse der Bänker und Ungerechtigkeiten bei Finanztransaktionsteuer und Länderfinanzausgleich. Lesen Sie hier das Interview:

 

**€uro: **Herr Bouffier, stimmt es, dass Mitglieder der hessischen Landesregierung in der Holzklasse zu Terminen nach Berlin fliegen, während die aus Rheinland-Pfalz in der Business Class reisen?

 

Volker Bouffier: Ja, das ist richtig. Das wurde bereits unter meinem Vorgänger Roland Koch so entschieden.

 

**€uro: **Ist das nicht symbolträchtig? Schließlich ist Hessen einer der drei Geldgeber beim Länderfinanzausgleich, während Rheinland-Pfalz ein Empfängerland ist.

 

Volker Bouffier: Ich will dem keinen Symbolwert beimessen. Was aber stimmt, ist die Tatsache, dass beim Länderfinanzausgleich 13 Bundesländer etwas bekommen und nur drei bezahlen: Hessen, Bayern und Baden-Württemberg zahlten 2012 fast acht Milliarden Euro. Sogar eine reiche Stadt wie Hamburg, die über die höchsten Pro-Kopf-Einnahmen verfügt, ist nun zum Nehmer geworden. Das kann nicht richtig sein. Der Länderfinanzausgleich führt dazu, dass die Starken geschwächt werden, ohne dass die Schwachen stark werden.

 

**€uro: **Deshalb haben Sie gemeinsam mit Ihrem bayerischen Kollegen Horst Seehofer Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

 

**Volker Bouffier: **Ja, das war ein Akt politischer Notwehr. Wir haben zwei Jahre lang versucht zu verhandeln. Ohne Erfolg.

 

**€uro: **Schon 2005 hatten Hessen und Bayern eine Neuregelung zum Länderfinanzausgleich ausgehandelt. Ihr Vorgänger Koch bezeichnete den Kompromiss damals als „historische Wende“. Woher Ihr Sinneswandel?

 

**Volker Bouffier: **Durch die damalige Regelung müssen wir 150 bis 200 Millionen Euro weniger zahlen. Die Einigung erfolgte in der Hoffnung, dass
sich die Lücke zwischen den Bundesländern schließt. Das hat sich nicht erfüllt. Damals haben fünf Länder eingezahlt, heute sind es nur noch drei. Hinzu kommt — und das vergessen viele —, wir haben 2009 eine Schuldenbremse in der Verfassung festgeschrieben.

 

**€uro: **Demnach dürfen die Bundesländer ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen.

 

**Volker Bouffier: **Genau, aber bis 2020 müssen wir die Neuverschuldung bereits Schritt für Schritt zurückfahren. Sonst bleibt, wie beim Autofahren, nur die Vollbremsung. Es kann nicht sein, dass wir uns verschulden müssen, um Geld an andere Länder zu bezahlen. 2012 war die Neuverschuldung in Hessen ungefähr so hoch wie der Betrag, den wir in den Länderfinanzausgleich einbezahlt haben. Ich kann keinem Hessen erklären, warum wir uns Dinge nicht leisten können, die in Nehmerländern selbstverständlich sind, kostenfreie Kita-Besuche etwa. Die Krönung ist ja der Berliner Flughafen. Denn Berlin ist der größte Leistungsempfänger.

 

**€uro: **Es gibt Kritiker, die vorrechnen, dass Geldgeber wie Hessen und Bayern aus anderen Töpfen wie der Ökosteuerumlage oder der Infrastrukturförderung mehr Mittel erhalten als die restlichen Bundesländer. Was entgegnen Sie?

 

Volker Bouffier: Jeder rechnet sich gesund. Eines kann ich Ihnen sicher sagen: Unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt sind wir Hessen immer Zahler.

 

**€uro: **Wäre es nicht besser, statt auf eine Klage auf mehr Transparenz zu setzen: Welches Bundesland bekommt wie viel Geld aus welchem Topf?

 

**Volker Bouffier: **Transparenz ist immer gut. Aber dazu müsste man sich erst einmal auf eine Zahlenbasis verständigen. Hier werden ganz unterschiedliche Rechnungen angestellt. Das ändert aber nichts daran, dass die derzeitige Regelung des Länderfinanzausgleichs ungerecht ist, und wir deshalb klagen.

 

€uro: In letzter Zeit hat das Bundesverfassungsgericht oft die Politik vor vollendete Tatsachen gestellt, beim Eurorettungsschirm etwa oder bei der Gleichberechtigung von homosexuellen Partnerschaften. Gibt neuerdings die Justiz die Richtung vor?

 

**Volker Bouffier: **Das ist doch nichts Neues. Es war schon früher oft so, dass das Bundesverfassungsgericht Grundsatzentscheidungen traf. Die Politik hat dem Rechnung getragen. Ich sehe darin kein Problem.

 

**€uro: **Kommen wir zu einer anderen Steuer, die Hessen stärker trifft als andere: die Finanztransaktionsteuer auf Börsengeschäfte aller Art. Was halten Sie davon?

 

**Volker Bouffier: **Die EU-Kommission hat die Einführung der Steuer beschlossen. Aber entschieden, wie sie im Detail aussehen soll, ist noch nichts. Wir wollen, dass der Finanzplatz Frankfurt keine Nachteile hat. Die Steuer, wie sie heute oft formuliert wird, halte ich als hessischer Ministerpräsident für bedenklich.

 

**€uro: **Was ist daran falsch?

 

Volker Bouffier: Diese Steuer funktioniert nur, wenn alle Länder mitmachen, sonst wandern die Geschäfte per Knopfdruck nach London, Singapur oder New York ab. Der Finanzplatz Frankfurt mit seinen 70 000 Beschäftigten wäre extrem benachteiligt: Erst wandern die Geschäfte ab, danach die Arbeitsplätze. Ob diese Steuer tatsächlich Exzesse verhindern kann und ob sie die trifft, die sie treffen soll, ist auch mehr als fraglich. Zum Schluss trifft es die Bausparer, Kleinsparer und Inhaber von Lebensversicherungen.

 

**€uro: **Sie haben aber selbst immer gesagt, dass sich die Banken an den Kosten der Finanzkrise beteiligen müssen.

 

**Volker Bouffier: **Grundsätzlich ja, aber man muss sich bewusst sein, dass bei der rückwärtigen Abarbeitung nicht viel zu holen ist. Ich halte es für klüger, wenn wir uns um die Zukunft kümmern. Künftig müssen Banken selbst in der Lage sein, Schieflagen zu beseitigen. Nur so können Bürger und Steuerzahler geschützt werden.

 

**€uro: **Wie kann das gelingen?

 

**Volker Bouffier: **Das Wichtigste ist, die Eigenkapitaldecke der Finanzinstitute deutlich anzuheben. Auf diese Weise kann die Bank Verluste selbst stemmen, ohne die Steuerzahler zu belasten. Klar ist aber auch, dass Spekulationsblasen nicht immer verhindert werden können, weil sie nie gleich sind. In Spanien waren die Sparkassen das Problem, in den USA die Hypothekenkredite und in Zypern der überdimensionierte Bankensektor.

 

**€uro: **Die Lobbyorganisation Frankfurt Main Finance kritisiert, dass die Regulierung ihr Ziel verfehle und die Finanzindustrie gefährde. Was sagen Sie dazu?

 

**Volker Bouffier: **Wir hatten bis in die 90er-Jahre einen streng regulierten Finanzmarkt. Ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung hat viele Begrenzungen gestrichen. Das war natürlich nicht nur bei uns so, sondern ein Zug der Zeit. Ich sage auch nicht, dass wir wieder alles zurückdrehen sollen. Aber völlig unkontrollierte Kapitalströme halte ich auch nicht für richtig.

 

**€uro: **Obwohl die Finanzbranche Besserung gelobt hat, kommen ständig neue Skandale ans Licht: Umsatzsteuerbetrug, Zinsmanipulationen, Bonusexzesse. Ärgert Sie das?

 

**Volker Bouffier: **Das Problem ist: Solche Skandale schaden nicht nur massiv dem Ansehen der Finanzbranche. Sie haben zur Folge, dass viele Bürger das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft verlieren. Klar ist: Dort, wo es Fehlentwicklungen gab, muss man handeln.

 

**€uro: **Was die hessische Justiz mit der Razzia bei der Deutschen Bank wegen Verdachts auf Umsatzsteuerbetrug auch getan hat. Wie war das, als deren Co-Chef Jürgen Fitschen Sie anrief, um sich zu beschweren?

 

Volker Bouffier: Er war in heller Aufregung und fühlte sich ungerecht behandelt. Aber ich habe ihm gesagt, dass die Ermittlungen Sache der Justiz sind. Das Gleiche würde ich übrigens auch Ihnen sagen.

 

**€uro: **Mit dem Unterschied, dass wir, anders als Herr Fitschen, Ihre Durchwahl nicht haben.

 

**Volker Bouffier: **Worauf Sie auch immer hinauswollen: Ich werde mich am Bankerbashing nicht beteiligen. Ich glaube, damit ist alles gesagt.

 

**€uro: **Weil fast ein Drittel der hessischen Wirtschaftsleistung an der Finanzindustrie hängt?

 

**Volker Bouffier: **Weil ich dagegen bin, dass wir eine der wesentlichen Grundlagen unserer Marktwirtschaft und damit unseres Wohlstands vorsätzlich ruinieren. Deutschland steht hervorragend da. Der Rest der Welt beneidet uns. Deshalb lasse ich an einer Grundlinie keine Zweifel: Ich will starke Finanzinstitute für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland. Jeder deutsche Mittelständler, der international tätig ist, braucht eine weltweit agierende Bank. Exzesse müssen bekämpft werden, nicht die Banken generell.

 

**€uro: **Sie sprechen von einem Vertrauensverlust in die soziale Marktwirtschaft. Wie wirkt sich das aus?

 

**Volker Bouffier: **Der Vertrauensverlust führt zu einer riesigen Erwartungshaltung gegenüber dem Staat. Die Debatte darüber prägt schon jetzt das Wahljahr: SPD, Grüne und Linke fordern mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Abgaben. Ich halte das für völlig übertrieben. Ein Verteilungsstaat führt immer dazu, dass ich dem einen etwas wegnehme, viel Bürokratie schaffe und das Geld ideologisch verteile. Früher oder später ist die Substanz weg, und alle leiden darunter. Das macht doch die aktuelle Diskussion um eine Vermögensteuer, deutlich. Aber mit Neid und platten Parolen bringen wir Deutschland nicht voran.

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