Die Landesregierung streitet laut Ministerpräsident Volker Bouffier vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht für Nachtflüge. Welche Möglichkeiten er noch sieht, den Lärm zu reduzieren, und welche Bedeutung das Thema aus seiner Sicht im Frankfurter Oberbürgermeisterwahlkampf hat.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung:  **Wenn Sie sich am Mittwoch nächster Woche mit Vertretern von Bürgerinitiativen gegen Fluglärm treffen, empfinden Sie das als Altlast Ihres Amtsvorgängers Roland Koch?

 

**Volker Bouffier: **Nein, überhaupt nicht. Ich will mich als Ministerpräsident um die Situation kümmern. Schon in dem Gespräch mit den Verantwortlichen für den Flugverkehr am 19. Dezember habe ich deutlich gemacht, wir müssen alles tun, um den Lärm zu mindern. Wir wollen in zwei weiteren Sitzungen die vorhandenen Möglichkeiten beraten und danach möglichst schnell ein Maßnahmenpaket schnüren.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Welche Möglichkeiten könnten das sein? Es erscheint doch inzwischen sehr begrenzt, was noch verändert werden kann.

 

**Volker Bouffier: **Das sehe ich nicht so, in den Verfahren von An- und Abflug gibt es durchaus noch Möglichkeiten, zu optimieren. Auch in der Frage, wo und wie passiver Lärmschutz gewährt wird, sehe ich durchaus noch Spielraum. Aber ich will hier nicht spekulieren. Wir werden auch Experten hören und uns anschließend äußern.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was werden Sie den Bürgerinitiativen am 18. Januar anbieten?

 

**Volker Bouffier: **Zunächst einmal will ich hören, wie die Betroffenen die Lage sehen, und deutlich machen, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen. Aber ich werde auch darauf hinweisen, dass dieser Flughafen das Herzstück unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist, weit über Hessen hinaus. Und dass in großer Zahl Arbeitsplätze und damit Existenzen von seiner Entwicklung abhängen.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was sagen Sie zu der Forderung der Grünen, der beste Lärmschutz sei, die Landebahn wieder stillzulegen?

 

**Volker Bouffier: **Das ist eine bewusste Täuschung der Bürger und ein verwerfliches Spiel mit ihren Ängsten. Die Grünen tun so, als seien sie schon immer gegen den Ausbau des Flughafens gewesen, was ja nicht wahr ist. Dieser Ausbau erfolgt im Auftrag und im Sinne des Bundes. Den Auftrag hatte die rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer erteilt. Dieses Kabinett war der Auffassung, was ich nach wie vor für richtig halte, der Ausbau des Frankfurter Flughafens sei unverzichtbar. Wer heute, wie der hessische Grünen-Vorsitzende Tarek Al-Wazir, den Eindruck erweckt, man könne ernsthaft über die Schließung der neuen Landebahn reden, der täuscht die Menschen vorsätzlich, zumal er wenige Tage zuvor auf seinem eigenen Parteitag noch dagegen war. Aber offenbar sollen die Chancen der Partei im Frankfurter Oberbürgermeisterwahlkampf verbessert werden. Die Grünen haben ein taktisches Verhalten zum Lärmschutz.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Apropos Wahlkampf: Innenminister Boris Rhein, der für die CDU in Frankfurt antritt, ist ja offenbar ohne Abstimmung mit Ihnen bei diesem Thema vorgeprescht und hat sich jenseits der noch offenen juristischen Fragen für ein absolutes Nachtflugverbot ausgesprochen. Geschah das aus der Furcht, dass der Protest, der im Süden Frankfurts gegen den Fluglärm laut wird, seine Wahlchancen beeinträchtigen wird?

 

**Volker Bouffier: **Boris Rhein ist nicht vorgeprescht. Er steht für ein Nachtflugverbot – wenn es rechtlich möglich ist – und für weitere Lärmschutzmaßnahmen. Aber er ist sich auch der überragenden Bedeutung des Flughafens für die Stadt Frankfurt, für Arbeitsplätze und Wohlstand bewusst. Dazu hat Boris Rhein im Landtag ausführlich Stellung genommen. Diese Debatte muss insbesondere mit der Grünen-Kandidatin im OB-Wahlkampf offensiv und entschieden geführt werden.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Hat Sie der Grad der Belastung, von der in vielen Orten des Umlandes des Flughafens berichtet wird, nicht aber auch überrascht?

 

**Volker Bouffier: **Zum Teil. Andererseits ist in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit aber auch der falsche Eindruck entstanden, mit Inbetriebnahme der neuen Landebahn sei gleichsam über Nacht der Flugverkehr um ein deutliches Maß erhöht worden. Es gibt aber nur geringfügig mehr Flugbewegungen als vorher, sie sind nur anders verteilt. Es gibt Gebiete, die weniger belastet sind und welche, die neu oder stärker belastet sind.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Viele trafen aber diese Veränderungen unvorbereitet.

 

**Volker Bouffier: **Ja, und deswegen habe ich beispielsweise die Flugsicherung auch gefragt, warum man nicht früher die Konsequenzen einer Neuordnung der Routen dargelegt hat. Ich muss die Antwort akzeptieren, dass erst im realen Betrieb getestet werden kann, wie sich die Neuordnung auswirkt.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Kritik wird auch an den Planungen im hessischen Verkehrsministerium laut, die die Belastungen nicht ausreichend berücksichtigt hätten.

 

**Volker Bouffier: **Das kann ich nicht erkennen. Im Gegenteil, der Planfeststellungsbeschluss enthält zahlreiche Stellen, die sehr detailliert die Interessen der Anwohner berücksichtigen. So ist zum Beispiel von Anfang an festgeschrieben gewesen, dass in den Stunden zwischen 23 und 5 Uhr die neue Landebahn nicht genutzt wird. Dennoch lässt sich nicht wegdiskutieren, dass der Protest zum Ende des Jahres kontinuierlich gewachsen ist.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wie erklären Sie sich das?

 

**Volker Bouffier: **Da kam einiges zusammen. Wie gesagt, viele waren zum ersten Mal überhaupt von Fluglärm betroffen. Für die Menschen im Westen des Flughafens kam erschwerend hinzu, dass nach Inbetriebnahme der Landebahn im Oktober über Wochen eine stabile Ostwindlage herrschte, wie sie in dieser Dauer ungewöhnlich ist. Aber natürlich verstehe ich auch, wenn jemand sagt: Deine Statistik in Ehren, aber es interessiert mich nicht, ob im langfristigen Durchschnitt dieses Wetter völlig ungewöhnlich ist.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Die Zahl der Flugbewegungen in Frankfürt soll von derzeit rund 85 in der Stunde langfristig auf 126 steigen. Ist dies das Ziel, das die Landesregierung mit der Genehmigung des Ausbaus anstrebt?

 

**Volker Bouffier: **Nein. Es gibt Grenzen, die werden nicht nach dem technisch und betriebswirtschaftlich Machbaren definiert. Aber ich werde nie versprechen, dass man einen solchen Flughafen ohne Belastung, ohne zum Teil auch sehr erhebliche Belastungen betreiben kann.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Wo ziehen Sie die Grenze?

 

**Volker Bouffier: **Die reine Zahl der Flüge ist ja gar nicht so entscheidend, sondern wie diese sich auswirken. Wenn Sie leise Maschinen haben, ist es dem Bürger letztlich gleichgültig, ob es acht oder zehn sind, die in einer bestimmten Zeit über ihn hinwegfliegen. Daher muss das Augenmerk auf aktivem Schallschutz, auf geringerer Lärmerzeugung liegen, auch wenn es, etwa durch Umrüstung der Flotten, viel Geld kostet. Und diese Entwicklung muss weitergehen, auch, indem man die An- und Abflug-Verfahren optimiert.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Ist das so zu verstehen, dass Sie sich für eine Deckelung der Flüge über ein Lärmkontingent aussprechen?

 

**Volker Bouffier: **Wie gesagt, es kommt weniger auf die reine Zahl der Flüge an, sondern auf die Lärmauswirkungen. Ich möchte allerdings den Ausdruck Larmdeckelung vermeiden. Wir haben nach Abstimmung im Landtag ein umfangreiches Lärmgutachten für die Region in Auftrag gegeben, das auch Straßen- und Schienenlärm berücksichtigt und aufzeigen soll, wie diese Quellen zusammenwirken. Ich würde erst gerne einmal diese Ergebnisse sehen, um dann zu entscheiden, welche Möglichkeiten es gibt. Aber noch einmal: Es kann nicht allein darum gehen, wie schnell kann ich möglichst viele Flugzeuge auf diesem Flughafen abfertigen.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Die Landesregierung hält an der Revision gegen das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs insofern fest, als dieser aufgegeben hat, die Zahl der erlaubten Nachtflüge statt 17 wie nach Planfeststellungsbeschluss auf "annähernd null" zu reduzieren. Damit kämpfen Sie in der nächsten Instanz, Mitte März vor dem Bundesverwaltungsgericht, um Nachtflüge?

 

**Volker Bouffier: **Das ist eine sehr verkürzte Sicht der Dinge. Ich bleibe dabei: Die Revision ist der schnellste Weg, für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu sorgen. In seinem Urteil hat der VGH auch eine rechtliche Grundsatzfrage aufgeworfen, die weit über den Frankfurter Flughafen hinausgeht, auch wenn sie in der Öffentlichkeit kaum noch Beachtung findet. Sie lautet: Kann ein nach Bundesrecht geregeltes Projekt durch Entscheidungen auf der Ebene des Landes verändert oder am Ende sogar umgedreht werden? Diese Frage würde sich, folgt man dem VGH, künftig ähnlich für jeden Bau einer Autobahn oder einer Wasserstraße stellen.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Das klingt für viele, die sich um ihre Nachtruhe sorgen, ziemlich abstrakt.

 

**Volker Bouffier: **Das ist mir bewusst. Aber es ist auch schlicht falsch zu glauben, die von der Opposition empfohlene Rücknahme der Revision würde das Problem erledigen. Wir haben bisher nur eine Eilentscheidung durch den VGH zum Nachtflugverbot, und wir haben eine erstinstanzliche Entscheidung des VGH überhaupt zu den Nachtflügen. Auf der anderen Seite haben wir ein Bundesverwaltungsgericht, das in früheren Urteilen, etwa zu dem Flughafen in Leipzig oder dem neuen Großflughafen in Berlin, beim Thema Nachtflüge im für Frankfurt so wichtigen Frachtverkehr eine erkennbar andere Linie eingeschlagen hat. Wie bereits gesagt: Wir wollen den schnellsten Weg zur Rechtssicherheit, auch im Interesse der Menschen in der Region.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was verstehen Sie unter "Rechtssicherheit", die Sie von den Richtern in Leipzig erwarten?

 

**Volker Bouffier: **Ich möchte einen verbindlichen Maßstab, mit dem wir arbeiten können. Und wenn Leipzig "null" sagt, dann bleibt es bei "null". Dann ist es entschieden. Falls nicht, dann teilt das Gericht seine Erwägungen mit, die Grundlage unseres neuen Beschlusses nach einem sogenannten Planergänzungsverfahren sein werden. Wenn wir jetzt aber, wie gefordert wird, zwei Monate vor der anberaumten Verhandlung die Revision zurücknehmen würden, dann hätten wir ebendiese Klarheit nicht. Stattdessen käme wieder eine Vielzahl von Klagen. Und wir müssten uns die nächsten fünf Jahre wieder mit unsicherem Ausgang auf den langen Weg nach Leipzig machen, zum Bundesverwaltungsgericht. Wir haben uns das mit der Revision gut überlegt, und ich habe nicht die Absicht, in diesem Punkt alle drei Wochen meine Meinung zu ändern.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was geschieht im Weiteren, wenn Leipzig "null" sagt, das heißt, das Urteil des VGH weitgehend bestätigt?

 

**Volker Bouffier: **Dann haben wir die Möglichkeit, das Mediationsergebnis in einem Planergänzungsverfahren umzusetzen.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Das heißt, Sie gehören zu jenen in der Landesregierung, die sich inzwischen sogar wünschen, das Bundesverwaltungsgericht möge für den Frankfurter Flughafen null Flüge zwischen 23 und 5 Uhr vorgeben?

 

**Volker Bouffier: **Die Landesregierung hat immer gesagt, dass sie das Mediationsergebnis umsetzen will. Wenn das rechtlich sauber möglich ist, dann werden wir das auch tun. Wir brauchen dazu eine höchstrichterliche Entscheidung, weil das die einzige Chance ist, Rechtsklarheit und Rechtsfrieden zu erreichen.

 

**Frankfurter Allgemeine Zeitung: **Was halten Sie von einem von den Anteilseignern des Flughafens bestückten Fonds zur Finanzierung von zusätzlichem Lärmschutz oder zum Aufkauf besonders ungünstig gelegener Häuser?

 

**Volker Bouffier: **Ein solcher Fonds kann meiner Ansicht nach fester Bestandteil eines Pakets zur Lärmminderung sein. Hessen und die Stadt Frankfurt sind als Miteigentümer in der Pflicht, aus überragenden Gründen des Allgemeinwohls zum Flughafen zu stehen. Sie müssen aber auch, wo es möglich ist, Belastungen mindern. Die Details des Fonds wären noch zu klären, aber wir würden eine eher großzügige Lösung anstreben. Das Land wird seine Verantwortung übernehmen. Ich erwarte das auch von der Stadt Frankfurt, die mehr als alle anderen vom Flughafen profitiert.

 

Die Fragen stellten Ralf Euler und Helmut Schwan.

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