Ministerpräsident Volker Bouffier nimmt sich Zeit, um die scheinbar unzähligen Autogrammwünsche der 470 Schüler der Lichtigfeld-Schule in Frankfurt zu erfüllen. Mit dem Besuch der wohl ältesten jüdischen Schule Deutschlands beginnt der Politiker den 66. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslager Auschwitz.

„An einem so herausragenden Tag wie heute, dem Gedenken der Opfer der Einmaligkeit der Shoah, diese Kinder zu erleben, ihre Offenheit auch ihre Sorgen, das begründet eigentlich die beste Zukunft, die man haben kann“, sagt Bouffier erfreut und stellt sich zunächst den Fragen der Acht- und Neuntklässler - dann erzählen sie.

„Menschen wollen über dieses Thema lieber nicht reden“

Sein Großvater habe im Ersten Weltkrieg die Auszeichnung Eisernes Kreuz bekommen und beide Beine verloren, beginnt Benny. Trotzdem sei er zusammen mit Bennys Großmutter und Urgroßmutter in das KZ Theresienstadt gebracht worden. „Es war ein Glücksfall, dass alle drei überlebt haben und ich so heute hier bin“, sagt der Neuntklässler. Ob er darauf außerhalb der Schule angesprochen werde, will Bouffier wissen. Benny schüttelt den Kopf. Er habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen über dieses Thema lieber nicht reden wollten.

Beim Fußballspielen sei er oft mit rassistischen Bemerkungen konfrontiert, erzählt Nati. Er versuche dann ins Gespräch zu kommen und zu erklären. Aber diese Leute seien oft ungebildet. „Sie wissen gar nicht, was sie sagen. Das ist das größte Problem“, bedauert Nati. Ein Klassenkamerad berichtet noch sichtlich bewegt, er sei zusammen mit seinem Vater auf dem Rückweg von der Synagoge von einem Fremden beschimpft worden. Der Mann habe wohl geglaubt, dass sie sich dies stumm anhörten. Sein Vater sei ihm aber hinterhergelaufen. „Ich glaube, er wollte ihn schlagen.“

David berichtet von seiner Zeit in einer öffentlichen Schule. „Immer wenn es um den Holocaust im Unterricht ging, haben sich alle zu mir umgedreht“, berichtet der Neuntklässler. „Da war sehr viel Stillschweigen und Unwissen.“ Besonders irritiert habe ihn die Bemerkung eines Mitschülers, der als es um die Pest ging, gefragt habe: „Aber wenn die Juden nicht die Brunnen vergiftet haben. Wer war es dann?“

„An dieser Schule haben wir viel mehr Bezug zur Shoah, man weiß viel mehr darüber“, sagt die Schulsprecherin. Schon in der zweiten Klasse sei das ein Thema, ergänzt eine Mitschülerin. Und sie stellt verwundert fest, dass viele Sechstklässler an anderen Schulen noch gar nichts über den Nationalsozialismus und den Holocaust wüssten.

„Dass ich heute hier bin, möge Ihnen belegen, dass es mir persönlich wichtig ist, aber auch uns als Gesellschaft.“ Es sei richtig, dass ein Ministerpräsident deutlich mache, dass sich das Land damit zu beschäftigen habe. Die Schüler fordern Bouffier zum Schluss auf: „Nie die Köpfe einziehen und hoffen, dass es vorbei geht!“ Sie sollten mutig und sensibel sein. „Wir wollen ein Land, eine Gesellschaft sein, in der man ohne Angst leben kann.“ Der Ministerpräsident empfand den Besuch als „ermutigendes Erlebnis, wie frisch die sind, wie offen die sind, wie fröhlich.“

Für den Mittag war noch ein Besuch des Mahnmals an der Gedenkstätte Neuer Börneplatz geplant. Der Besuch der Synagoge in Darmstadt und des Erinnerungsortes an die Liberale Synagoge am Klinikum Darmstadt standen für den Nachmittag auf dem Programm.

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