Der stellvertretende CDU-Vorsitzende, Ministerpräsident Volker Bouffier, warnt im Interview davor, sich mit einem NPD-Verbot zufriedenzugeben. Er fordert vielmehr eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung und eine Ächtung der Rechtsradikalen. Lesen Sie hier das Interview mit Südhessen Morgen:

 

**Südhessen Morgen: **Wie sehr hat Sie der rechte Terror überrascht?

 

**Volker Bouffier: **Vor allem hat mich das entsetzt. Man muss jetzt herausfinden, was das für Täter sind.

 

Südhessen Morgen: Zweitens: Wie konnten sie so lange unerkannt vorgehen?

 

**Volker Bouffier: **Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen. Aber ich warne vor Schnellschüssen. Jetzt ist die Stunde der Ermittler.

 

Südhessen Morgen: Bundeskanzlerin Merkel schlägt vor, ein NPD-Verbot zu prüfen. Wäre das für Sie ein Weg?

 

Volker Bouffier: Da bin ich skeptisch. Wir Hessen haben uns von Anfang an aus zwei Gründen gegen ein Verbot ausgesprochen. Das juristische Problem ist bekannt...

 

Südhessen Morgen: ...Sie meinen die in die NPD eingeschleusten V-Leute.

 

**Volker Bouffier: **Da hat das Verfassungsgericht klare Grenzen gezogen. Würden wir vor Gericht erneut scheitern, hätten wir der NPD auch noch einen Grund zum Jubeln gegeben. Wichtiger ist, sich mit einem NPD-Verbot nicht zufriedenzugeben. Dieser braune extremistische Sumpf ist ja viel tiefer. Wenn ich die NPD verbiete, kommt eine Nachfolgeorganisation. Auch die Kameradschaften sind so nicht in den Griff zu kriegen.

 

**Südhessen Morgen: **Was könnte helfen?

 

**Volker Bouffier: **Vor allem eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung und eine Ächtung der Rechtsradikalen.

 

**Südhessen Morgen: **Was nützt ein Verfassungsschutz, der diesen Terror nicht erkennt?

 

**Volker Bouffier: **Wir erleben eine Mordserie, die bislang keine schlüssige Erklärung bietet. Diese Art von Verbrechern ist neu: Wer aus welcher Verblendung heraus ähnliche Verbrechen begangen hat, hat vorher Forderungen gestellt oder sich danach zur Tat bekannt. Das gibt es hier nicht. Entsprechend schwer war es, auf diese Spur zu kommen. Der Verfassungsschutz ist nicht dafür da, eine scheinbare Mordserie aufzuklären. Das ist Sache der Polizei. Ob der Verfassungsschutz etwas hätte merken müssen, wird geprüft.

 

**Südhessen Morgen: **Muss es ein Staat hinnehmen, dass die NPD bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin mit der Parole "Gas geben" wirbt?

 

**Volker Bouffier: **Nein. Es ist die Pflicht aller, so etwas zu ächten. Aber man muss entscheiden, ob man rechtlich etwas dagegen unternehmen kann in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit ein sehr hohes Gut ist und das Verfassungsgericht weite Grenzen gezogen hat.

 

**Südhessen Morgen: **Kommen wir zum CDU-Parteitag: Sie haben daran mitgewirkt, beim Mindestlohn einen Kompromiss herbeizuführen. Was hat Sie am ursprünglichen Antrag gestört?

 

**Volker Bouffier: **Jeder Mensch soll ein Einkommen haben, von dem er sein Leben bestreiten kann. Andernfalls hat er Anspruch auf staatliche Solidarität.

 

**Südhessen: **Daraus ist der Bereich der Aufstocker erwachsen... ... das heißt, der Staat legt so viel auf den Lohn drauf, dass das Existenzminimum auf jeden Fall garantiert ist. ..

 

**Volker Bouffier: **In Deutschland leben 1,2 Millionen Aufstocker, von denen 300.000 Vollzeitarbeitskräfte sind. Und das bei 30 Millionen Vollzeitarbeitern. Wir reden also über kein Massenphänomen, sondern über ein Thema mit hohem Symbolgehalt. Es ist ein Gebot der Vernunft, die Gesetze der Ökonomie zu beobachten. Ein politisch festgelegter Lohn, vor Wahlen im Überbietungswettbewerb der Bundestagsfraktionen, führt nicht zu vernünftigen Ergebnissen. Daher lassen wir die Lohnfindung dort, wo sie sich 60 Jahre lang bewährt hat, nämlich bei den Tarifpartnern. Politische Festlegungen würden Arbeitsplätze gefährden.

 

Südhessen Morgen: Sie haben sich dagegen gewandt, Haupt- und Realschulen durch Oberschulen zu ersetzen. Sind Sie mit dem Beschluss des Parteitags zufrieden, der die Hauptschule weiter zulässt?

 

**Volker Bouffier: **Ja. Wenn wir von unserer Grundlage des christlichen Menschenbildes ausgehen, akzeptieren wir jeden so, wie er ist. Und da sehen wir, Menschen sind unterschiedlich. Wir brauchen also ein vielfältiges Angebot, das möglichst jedem eine Chance gibt, angemessen ausgebildet zu werden. Daher ist eine Beschränkung auf zwei Schulformen verfehlt. Ich kann die Hauptschulen abschaffen, aber nicht die Hauptschüler. Wo die Hauptschule funktioniert, bleibt sie. Wo Änderungen nötig sind, kann man das ändern. So etwas hängt ja auch von der Schülerzahl ab.

 

Die Fragen stellte Stephan Töngi.

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