Ministerpräsident Volker Bouffier im Interview mit FAZ.NET vom 08.12.2016

Herr Ministerpräsident, der Parteitag hat überraschend beschlossen, den Kompromiss mit dem Koalitionspartner SPD bei der doppelten Staatsbürgerschaft aufzukündigen. Rückt die CDU in Essen nach rechts?
Nein. Die Entscheidung war ja sehr knapp, und ich habe immer schon die Auffassung vertreten, dass es keinen Sinn macht, in der Frage der Staatsbürgerschaft alle drei Jahre eine neue Regelung zu vertreten. Praktisch ist so etwas extrem schwierig umzusetzen, deshalb denke ich nicht, dass dieser Beschluss in die Regierungsarbeit in Berlin eingehen wird. Wir haben uns bei der Bildung der großen Koalition mit der SPD aus gutem Grund auf diesen Kompromiss geeinigt. Darauf müssen sich beide Seiten verlassen können. Das ist ein Stimmungsbild des Parteitages.

Wenn der Beschluss ohnehin nicht umsetzbar ist: Gibt es in der CDU ein Bedürfnis nach Symbolik, der in Essen befriedigt wurde?
Eine Partei tut gut daran, ihre Positionen und ihr Profil klar zu formulieren, schon um den Vorwurf zu entkräften, dass "irgendwie alle gleich" seien. Deshalb darf sich die Debatte auch in der CDU nicht darauf beschränken, was man in einer Regierung durchsetzen kann. Es gibt in der Bevölkerung eine breite Diskussion über Zuwanderung und Asyl, und diese Fragen müssen wir beantworten, auch wenn sie selbst bei uns umstritten sind. Das macht uns aus. Wir sind eine Partei, die diskutiert und streitet.

Vor allem von den Grünen, Ihrem Koalitionspartner in Wiesbaden und möglicher Option nach der Bundestagswahl, werden die Beschlüsse von Essen aber sehr genau beobachtet. Rückt Schwarz-Grün damit in weite Ferne?
Wenn für Schwarz-Grün nach der Bundestagswahl rechnerisch eine ernsthafte Möglichkeit besteht und wir in der Summe der wichtigen Fragen genügend belastbare Gemeinsamkeiten finden, sehe ich da weitere Optionen. Außerdem machen wir unsere Politik nicht im Hinblick darauf, ob sie den Grünen gefällt. Wir haben umgekehrt ja auch den Grünen-Parteitag zur Kenntnis genommen, auf dem Dinge beschlossen wurden, von denen man weiß, dass sie mit der CDU überhaupt nicht gehen. Nach der Wahl werden sich die Grünen die Frage stellen müssen, was sie der CDU zumuten können - oder ob sie Rot-Rot-Grün wollen, was ich für ein politisches Abenteuer halte. Wir wollen bei der Wahl aber so stark werden, dass niemand gegen uns regieren kann.

Sie haben mal gesagt, die Personen seien entscheidend für Schwarz-Grün. Wer von den Spitzenkandidaten, die aktuell bei den Grünen zur Auswahl stehen, eignet sich am meisten für ein Bündnis mit der CDU?
Darauf werde ich nicht antworten. Wenn der Richtige von falscher Seite Lob bekommt, schadet ihm das nur.

Die FDP freundet sich mit einer Jamaika-Koalition an. Ist das für Sie auch eine Option?
Auch das ist denkbar. Grundsätzlich muss es für die Union möglich sein, aus zwei Optionen auszuwählen, sonst ist eine Koalition nur eine Notgemeinschaft. Man stelle sich einmal vor, wer immer bei der SPD-Kanzlerkandidat wird, erklärt nach der Wahl, eine große Koalition sei die einzige Option, auch wenn er sie eigentlich nicht wolle. Dann fordert die SPD von uns ein Entgegenkommen, und am Ende werden wir kritisiert, weil die Union sich angeblich sozialdemokratisiert. Das hatten wir schon einmal. Und deshalb müssen wir bei dieser Wahl alles daran setzen, so stark wie möglich zu werden und dadurch mehrere Optionen zu haben.

Sie sagen, die CDU sei in Essen nicht konservativer geworden. Haben Sie trotzdem den Eindruck, dass die Kritiker, die seit langem ein konservativeres Profil fordern, jetzt vorerst befriedet sind?
Ich halte es für falsch zu sagen, dass die Konservativen bei uns keine Heimat mehr hätten. Und ich stehe nicht gerade unter dem Verdacht, als Weichei zu gelten. Wir sind eine konservative, liberale und soziale Partei, wir stehen zu unseren Traditionen und zu unseren Wurzeln. Aber das kann nicht heißen, zurück zu wollen in eine Welt, die es nicht mehr gibt. Konservativ zu sein ist vielmehr eine Haltung: Wie gehen wir mit Fragen um, die uns bewegen, derzeit also vor allem der Flüchtlingskrise? Und bei den Antworten, die wir geben müssen, geht es nicht mehr um rechts oder links, konservativ oder liberal, sondern darum, ob es vernünftig oder unvernünftig ist.

Das klingt wie ein Plädoyer für den weitgehend ideologiefreien Pragmatismus, der Angela Merkel auch in der CDU oft vorgeworfen wurde.
Wenn wir im Lande eine ganze Menge Menschen haben, die kein Aufenthaltsrecht haben, muss man darauf eine Antwort finden. Das machen bislang nur die Linken. Deren Antwort ist abenteuerlich, aber immerhin haben sie eine klare Position. Wir sagen: Wenn einer kein Aufenthaltsrecht hat, muss er zurück. Das ist nicht links oder rechts, sondern die Durchsetzung geltender Gesetze und einer breiten Überzeugung. Wer in dieser Gesellschaft den Frieden erhalten will, muss dafür Sorgen, dass die geltenden Regelungen eingehalten werden.

Wie soll die CDU im Wahlkampf mit der AfD umgehen, die in der Flüchtlingskrise großen Druck auf Ihre Partei ausüben wird?
Das Wichtigste ist, dass wir endlich die politische Erbschleicherei der AfD aufdecken. Wenn diese Partei erzählt, sie sei so etwas wie die CDU von früher, dann ist das ein grober Unfug, das muss man so hart sagen. Wir waren schon immer für ein vereintes Europa, die AfD hetzt gegen Europa. Die AfD macht im alten Amerikanismus des Westens und des ewigen Antiamerikanismus des Ostens die Vereinigten Staaten nieder und klatscht Beifall, wenn jemand schreit, "Putin nach Berlin und Merkel nach Sibirien". Das hat mit der CDU nicht im Ansatz etwas zu tun.

 

Das Interview führten Oliver Georgi und Timo Steppat, Essen.

Quelle: FAZ.NET

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