Plenarrede von Ministerpräsident Volker Bouffier zum Mord an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke im Hessischen Landtag am 19.06.2019

- Es gilt das gesprochene Wort -

Vor wenigen Tagen haben wir in Kassel in einer großen Trauerfeier des ermordeten Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke gedacht. Viele von uns waren anwesend. Die Erschütterung, die Trauer, die Anteilnahme gegenüber seiner Familie gilt unverändert.

Die ganze Republik nimmt Anteil an dem Mord an Walter Lübcke. Dies gilt ganz besonders nach dem vergangenen Wochenende, an dem die Sicherheitsbehörden einen dringend Tatverdächtigen mit eindeutig rechtsextremen Einstellungen und massivem Vorstrafenregister festgenommen haben. Der Umstand, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hat und von einem Mord mit rechtsextremen Hintergrund ausgeht, löst neben Bestürzung auch schlimmste Befürchtungen aus.

Es ist deshalb richtig, dass der Hessische Landtag zu diesen Vorgängen Stellung nimmt und klar Position bezieht.

Ich begrüße es daher sehr, dass ein Entschließungsantrag von CDU, GRÜNE, SPD und FDP vorliegt, der nicht nur ein starkes Signal der Demokraten ist, sondern auch sehr klar macht, dass wir nicht bereit sind, auch nur einen Millimeter zu weichen, wenn es um die Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten und der Verurteilung rechtsextremer Umtriebe geht.

Ich teile ausdrücklich die in dem Antrag vorgenommenen Beurteilungen und Schlussfolgerungen.Dazu gehört ausdrücklich auch der Umstand, dass wir bei allen Äußerungen und Bewertungen eines nie vergessen dürfen: Zunächst geht es um das Schicksal des ermordeten Walter Lübcke. Der Respekt und ein würdevoller Umgang mit dem Opfer und seiner Familie darf uns auch bei engagierter Diskussion nicht abhandenkommen.

In meiner Trauerrede in Kassel habe ich deutlich gemacht, dass Walter Lübcke sehr beliebt aber nie beliebig war. Ganz im Gegenteil: Er hatte ein festes Wertefundament, war ein engagierter Demokrat, zeigte Haltung und trat mutig für seine Überzeugungen ein. Wenn er nun für diese klare Haltung Opfer eines Mordes geworden ist, so verpflichtet uns gerade sein Tod, alles dafür zu tun, dass jedermann und auch gerade politisch Verantwortliche frei ihre Meinung äußern können, ohne Angst vor Angriffen von Extremisten haben zu müssen.

Dies gilt nicht nur für die hauptamtlichen Politiker, sondern auch und gerade für die vielen ehrenamtlichen Politiker in unseren kommunalen Parlamenten.

Extremisten hoffen, dass sie mit ihren Taten im schlimmsten Sinne des Wortes andere mundtot machen und Angst und Entsetzen verbreiten. Die Antwort von uns kann nur lauten: Wir haben nicht nur keine Angst, wir sind auch entschlossen keinen Millimeter diesem rechtsextremen Spuk nachzugeben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

jetzt ist die Stunde der Ermittlungsbehörden. Ein Ergebnis ihrer Arbeit steht noch nicht fest. Trotzdem werden nahezu stündlich vermeintliche oder wirkliche Ermittlungsergebnisse in allen möglichen Kanälen und Medien veröffentlicht. Darin schließen sich in aller Regel unterschiedlichste Spekulationen oder Feststellungen an.

Nicht selten muss man dabei den Eindruck haben, dass nicht die Sache, dass sorgfältige Prüfen, sondern die knackige Überschrift oder die eilfertige Schuldzuweisung im Vordergrund stehen.

Eine Regierung, und insbesondere die verantwortlichen Ministerinnen und Minister, können nur über das berichten, was sie wissen und worüber sie öffentlich auch sprechen dürfen, ohne die Ermittlungen zu gefährden. Das ist häufig eine schwierige Gratwanderung, aber eine der Grundlagen unseres Rechtsstaats.

Ich kann und will deshalb den endgültigen Ermittlungsergebnissen nicht vorweggreifen.

Auch wenn diese Ergebnisse nicht vorliegen, will ich keinen Zweifel daran lassen, dass diese Landesregierung alles tun wird, dieses scheußliche Verbrechen rückhaltlos aufzuklären. Das gilt für eigene Zuständigkeiten und natürlich auch zur Unterstützung des Generalbundesanwaltes in seinen Ermittlungen.

Und dies wird selbstverständlich auch gelten im Hinblick auf die Frage, ob es sich hier um einen Einzeltäter handelt, wie der Generalbundesanwalt am Montag dieser Woche andeutete oder, ob er Mittäter hatte oder gar in ein extremes Netzwerk eingebunden war.

Die Ermittlungen müssen in alle Richtungen gehen. Eine vorschnelle Festlegung auf einen Einzeltäter erscheint mir nicht angebracht. Allein schon der Umstand, dass nach jetzigem Sachstand der Mord aus rechtsextremer Gesinnung naheliegt, ist schockierend und alarmierend.

Zurecht wird in dem dringlichen Antrag der vier Fraktionen festgehalten, dass es sich bei diesem Mord – sollten sich die Vermutungen bestätigen – um den ersten rechtsextremistisch motivierten Mord an einem Politiker seit der Weimarer Republik handelt.

Es ist deshalb richtig, von einer Zäsur und einer neuen Dimension rechtsextremer Gewalt und politischer Radikalisierung zu sprechen. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu relativieren.

Der Angriff auf Walter Lübcke war auch ein Angriff auf uns alle. Ein Angriff auf unsere freiheitliche Demokratie.

Deshalb muss es zunächst um die sorgfältigste Aufklärung der Straftat gehen. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf eventuelle Mittäter oder rechtsextremistische Netzwerke.

Neben der Aufklärung des konkreten Verbrechens geht es aber um eine Daueraufgabe.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Hessische Landesregierung und die hessischen Sicherheitsbehörden kämpfen mit größter Entschlossenheit gegen die rechtsextremistische Gewalt und den Rechtsextremismus, gerade nach den Erfahrungen mit dem NSU und dem Mord an Halit Yozgat in Kassel.

Nicht zuletzt die intensive strukturelle und personelle Aufrüstung der Sicherheitsbehörden – wie des Staatsschutzes und des Verfassungsschutzes – im Kampf gegen Rechtsextremismus und die vielen Initiativen möglichst präventiv dieser Entwicklung entgegen zu treten, seinen hier genannt.

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus und für die freiheitliche Demokratie ist aber nicht nur eine Sache der Sicherheitsbehörden, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Deshalb ist es richtig und wichtig, dass der dringliche Antrag auch ausdrücklich die Verrohung und die menschenverachteten Kommentare in den sozialen Medien aufgreift und diese aufs Schärfste missbilligt.

Dieses Treiben strafrechtlich aufzuarbeiten, ist richtig, aber nicht genug. Wir müssen eine offensive Debatte führen darüber, dass diese an Schäbigkeit und Niedertracht nicht zu überbietenden Äußerungen auch und gerade über Walter Lübcke uns nicht egal sind, sondern wir dies missbilligen und auch gesellschaftlich ächten.

Nicht nur die staatlichen Behörden, wir alle sind aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Würde des Menschen, die unser Grundgesetz in Art. 1 zum Ausgangspunkt nimmt, auch und gerade im Netz nicht untergehen darf. Bundespräsident Steinmeier hat recht, wenn er feststellt, „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit!“ Und genau weil das so ist, müssen wir diesen Entwicklungen mutig entgegentreten, nicht erst bei physischer Gewalt, sondern schon dort, wo gehetzt, ausgegrenzt oder Gewalt verharmlost wird.

In Hessen darf kein Platz für Hass und Gewalt sein. Das gilt in alle Richtungen und dies gilt insbesondere auch für den Rechtsextremismus. Diesen mit allen Mitteln des Rechtsstaats und der politisch-gesellschaftlichen Diskussion zu bekämpfen, ist und bleibt dieser Landesregierung eine herausragende Verpflichtung.

Dies schulden wir unserem ehemaligen Kollegen und Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, und dies schulden wir dem Erhalt unserer freiheitlichen Demokratie.

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag