"Grenzen überwinden" - dieses Motto hat Volker Bouffier für seine Präsidentschaft im Bundesrat gewählt. Was ihm dies bedeutet, warum der deutsche Wettbewerbsföderalismus ein Erfolgsmodell auch für andere Staaten ist und welche Rolle er beim Bund-Länder-Finanzausgleich einnimmt, verrät Bouffier im Interview mit der Onlineredaktion des Bundesrates.

Herr Präsident, Sie sind einstimmig von Ihren Länderkollegen zum Vorsitzenden gewählt worden. Was bedeutet für Sie als langjähriges Bundesratsmitglied das Präsidentenamt?

Das ist eine besondere Ehre und Freude. Ich gehöre dem Bundesrat über 15 Jahre an und habe daher natürlich auch Erfahrung und ein Gefühl dafür, wie die Zusammenarbeit ist. Aber es ist auch für unser Land Hessen eine besondere Freude und Ehre - und für mich auch.

Was haben Sie für Erwartungen an Ihr Jahr als Präsident?

Neben dem normalen parlamentarischen Geschäft und der Vertretung des Bundespräsidenten freue ich mich auf die Außenvertretung des Bundesrates als Repräsentanz der Länder, aber auch für die Bundesrepublik Deutschland zu werben. Deshalb werde ich hier einige Gäste aus dem Ausland empfangen und auch selbst einige Reisen machen. Das ist der eine Teil.

Der zweite Teil ist den besonderen Umständen geschuldet. Ich trete dieses Amt in einem außergewöhnlichen Jahr an, das geradezu historisch geschwängert ist: 100 Jahre Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 75 Jahre Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, 25 Jahre Fall der Mauer und nächstes Jahr 25 Jahre Deutsche Einheit. Wir haben die Freude, die Einheitsfeiern ausrichten zu dürfen.

Ihr Motto für die Präsidentschaft heißt "Grenzen überwinden". Was bedeutet das?

Wer im Bundesrat die Überzeugung vertritt, dass nur seine Meinung zählt, dem empfehle ich, zu Hause zu bleiben. Wir müssen nämlich immer in der Lage sein, uns zu verständigen. Kompromissfähigkeit ist nicht Schwäche; Kompromissfähigkeit ist die Grundlage der Politikfähigkeit. Wenn sich jeder nur erzählt, dass der andere Unrecht hat, kommen wir nicht weiter. Die Kunst besteht eben darin, unterschiedliche Interessen auszugleichen und daraus etwas Gemeinsames zu machen. Kompromissfähigkeit bedeutet Zukunftsfähigkeit.

Interessenausgleich ist in den nächsten Monaten gefragt, wenn die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu zu ordnen sind ...

Wir werden untereinander und zwischen Bund und Ländern einen Weg finden müssen, wie wir sehr schwierige Finanzierungsfragen miteinander lösen. Das wird nicht entlang der Parteilinien und nicht entlang der Linie Bund-Länder gehen können. Sondern man muss einen Kompromiss finden.

Können Sie als Präsident dabei moderieren?

Als Präsident wirkt man dabei aus meiner Sicht mehr hinter als vor den Kulissen.

Als Ministerpräsident eines Landes, das gegen den Finanzausgleich klagt, haben Sie ja eine etwas andere Rolle denn als Bundesratspräsident?

Das ist kein Gegensatz: Wir wollen ja durchaus solidarisch bleiben. Aber es gilt der alte Satz des amerikanischen Präsidenten Lincoln: Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, wenn ihr die Starken schwächt. Ein System, das offenkundig so unsinnig ist wie das jetzige, von dem niemand behauptet, es sei sinnvoll, das kann sicher so nicht bleiben.

Sie sind also für mehr Wettbewerb zwischen den Ländern?

Die Bundesrepublik Deutschland ist deshalb so erfolgreich, weil es Länder gibt. Es gibt diese Vorstellung, wenn etwas zentral gemacht wird, wird es besser. Manchmal genügt ein Blick ins Ausland. Wenn man nach Frankreich oder Großbritannien sieht – Länder, die zentral verwaltet sind – kann mir niemand erzählen, dass unser Staatsmodell hinter ihnen zurück bleibt. Der Erfolg der Bundesrepublik Deutschland ist ein Erfolg des Wettbewerbsföderalismus. Das möchte ich vermitteln. Nicht im Sinne der Überheblichkeit, aber mit Selbstbewusstsein. Das ist mein Ziel.

Der Föderalismus wird auch auf Ihren Reisen ein Gesprächsthema sein. Was können Sie Ihren Amtskollegen in Ländern, deren zweite Kammern vor Reformen stehen, als Rat geben?

Deutschland war immer ein föderativ verfasstes Land. Es gab unterschiedliche Stärken: Preußen war stärker als Hessen oder Baden. Deutschland war nie ein Zentralstaat. Das entspricht nicht unserer Verfassungstradition. Die unterschiedlichen Stärken zu bündeln und Identitäten zu wahren, das ist eigentlich der Schlüssel. Der Föderalismus ist das erfolgreichste Zukunftsmodell – nicht der Zentralstaat.

Das sehen international nicht alle so...

Wenn manche andere Staatsaufbauten für richtig halten, dann ist das auch in Ordnung, aber der Bundesrat wird sehr nachgefragt – überall. Es gibt kein anderes Land, das so verfasst ist wie unseres. Die Länder sind stark. Sie leiten ihre Existenz nicht vom Bund ab, sondern der Bund leitet seine Existenz von den Ländern ab. Und das ist nicht immer allen klar. Das immer wieder auszuwiegen ist für mich nicht nur Demokratie theoretisch, sondern ganz praktisch einer der Gründe für den Erfolg der Republik.

Gibt es auch Verbesserungsbedarf am föderalen System?

Nichts ist so gut, dass es nicht besser werden könnte. Wir könnten uns sicherlich auch vorstellen, dass wir vielleicht rascher zu Ergebnissen kommen, dass wir mehr auch über die Ländergrenzen hinweg gemeinsam machen. Da gibt es sicher Dinge, die kann man besser machen. Aber im Großen im Ganzen finde ich, funktioniert es sehr gut.

Einige kritisieren am Bundesrat, dass der "Kammerton" der Sitzungsatmosphäre zu zurückhaltend ist. Manche sagen auch, es sei langweilig im Plenum. Würden Sie das gern ändern?

Ich bin sehr zurückhaltend, ob man etwas ändern sollte. Die Wirkungskraft des Bundesrates und seine sachliche Überzeugung sind zum Großteil dem Umstand geschuldet, dass wir hier gerade nicht eine Show veranstalten. Die Verlockung, es in die prime time des Fernsehens zu bringen und irgendeinen Satz zu platzieren, der unter Umständen der Bekanntheit des Redners hilft – nicht aber dem Thema – ist hoch.

Ich möchte nicht, dass hier jeder die Ersatzveranstaltung für sein heimatliches Parlament macht. Das ist der große Unterschied. Die Rostra des Bundes ist der Bundestag, die Rostra der Länder sind ihre Landtage. Da können wir alles miteinander diskutieren.

Es gibt immer wieder Forderungen danach, das Abstimmungsverhalten im Bundesrat transparenter zu gestalten. Wären Sie offen, sich in Ihrer Präsidentschaft dafür zu engagieren?

Die Abstimmung ist ja nicht geheim. Die kann man verfolgen, sie ist öffentlich. Sie ist vielleicht aufgrund der Umstände nicht immer ganz plakativ. Aber was die Transparenz angeht, da sehe ich keine großen Defizite. Ich kenne kein Land, das nicht Auskunft über sein Abstimmungsverhalten gibt, wenn es gefragt wird.

Haben Sie schon Reiseziele für Ihre Präsidentschaft festgelegt?

Es ist mir ein Anliegen, Israel zu besuchen. Wir haben das 50. Jahr der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Der Satz, dass das Existenzrecht Israels Grundlage unserer Staatsräson ist, bedeutet mir etwas.

Gerade im Jahr des Jubiläums der Einheit möchte ich zudem unsere Nachbarn besuchen, die uns sehr geholfen haben: Polen, Tschechien und Ungarn. Dazu natürlich unsere traditionellen Partner in Frankreich und Spanien. Außerdem plane ich, nach Südafrika und Mosambik oder Botswana zu reisen.

Ich werde sicherlich auch sehr viel stärker unsere Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft ausbauen. Das geht zwingend in beide Richtungen. In Brüssel muss man verstehen, was wir hier sind. Wir müssen aber auch verstehen, warum sie so sind wie sie sind.

Herr Präsident, vielen Dank für das Gespräch!

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